Montag, 31. Oktober 2016

Mamma mia! Der ganz normale Wahnsinn


Wenn ihr schon einmal Hektik, gut organisiertes Chaos und kein Englisch erlebt habt, dann seid ihr entweder erstens im Streichelzoo, macht ihr euch zweitens keine Vorstellungen oder drittens wart ihr dann sicher schon einmal in italienischen Bahnhöfen!!!  Nein? Doch? Richtig!
Von italienischen Bahnhöfen bekommt man dazu auch gut einen Vorgeschmack was Streichelzoo bedeutet. Da kann man sich ruhig Vorstellungen von machen. Denn so ist es.
Dass hier neben dem unaufdringlichen Geschubse, den 100 unterschiedlichen Laufrichtungen, dem Sprachpotpourri -ganz zu schweigen von der Lautstärke- überhaupt was läuft, ist sensationell. Denn es läuft hier wirklich alles und jeder. Selbst die Züge sind pünktlich und nie zu spät (kleiner Seitenhieb an die DB. Okay ein großer hihi). Wenn in Italien ein Zug zu spät kommt, ist es meist ein Bus und dann, weil er ausfällt. Dann muss man halt mit Gepäck laufen. Kann passieren. Aber so einiges passiert bereits auch am Bahnhof: 
Alte glattrasierte Opis im Anzug und fescher Rockstar-Sonnenbrille schleppen Koffer, die größer sind als ihre geschminkten und hoch gefönten Frauen mit modischer Handtasche, die Treppen hinauf. Und sehen dabei echt cool aus. Direkt an den Eingangstüren zum Bahnhof oder zur Plattform wird sich breit und ausgedehnt unterhalten, Kaffee getrunken oder in eine neckisch aussehende Süßspeise gebissen. 15cm Breite Durchgang reichen ja als Fluchtweg für Klaustrophobe locker aus... Lautes Geschrei und Handarbeit wohin man sieht und hört, auch wenn der Gesprächspartner direkt neben einem steht. Ihn einfach mitten im Weg und unvorbereitet am Arm packen, zum Fahrkartenautomat oder Objekt des Interesses drehen, wild fuchtelnd auf es zeigen und dasselbe nochmal beherzt von vorn. So wirds gemacht. Noch plötzlicher dann. Auch wenn der Arm mittlerweile taub ist und man schon Kopfschmerzen hat. Doppelt daran erinnern, ist halb so schnell vergessen. Das ist die Devise der Italiener. 
Allein um eine Fahrkarte zu bekommen, muss man die erste Hürde nehmen und sich wie beim Flughafenterminal bei der richtigen Zuggesellschaft (trainitalia) anstellen, um einen gültigen Fahrschein zu lösen. Ein Glück, dass hier alle Anbieter die gut zu unterscheidenden Farben Rot, Grün und Weiß für sich entdeckt haben. Danach (also am richtig beschrifteten Kasten) zahlt es sich aus studiert zu haben, denn die Bedienung verlangt einiges ab. Selbst wenn man die gewünschte Sprache ausgewählt hat, spinnt der Automat nach Laune und entscheidet sich heimatlich verbunden für Italienisch. Ist klar. Der muss die ganze Zeit auch in der prallen Sonne stehen. Das kann einen schonmal zu Kopfe steigen. Wenn er dich dann noch nicht recht leiden kann.. darfst du es auf Chinesisch aushandeln! Einfach so mittendrin muss man das Orakel befragen. Bereit ist man dafür oft nicht. Ist man geistesgegenwärtig oder wundersam bis zum Bezahlen-Button durchgekommen, entscheidet es sich dann, ob der Automat nur Cash nimmt oder Karte oder nur ein Infoautomat war, bei dem du nichts kaufen kannst. Nichts! Hast du letztere Variante mit einem Blick auf den finalen Bildschirm ausgeschlossen, atmest du auf. Aber nur kurz. Denn wenn man zufällig am bockischen Elektrokasten steht, der allen Geldkarten gegenüber abneigend eingestellt ist und man gerade kein ausreichend Bargeld griffbereit hat, muss man die Schlange wechseln und das Abenteuer geht von vorn los. Einfach einreihen an dessen Anfang der Kartennehmerautomat (und Bruder des Cashautomaten) in Italienienfarben auf seine Rache und ein Wiedersehen wartet. Die Reihe, in der du gerade die Beine in den Bauch stehst, ist dazu auch nur doppelt so lang wie die, in der du kürzlich erst standest. Und ganz viele Touris hintereinander, die eh schon leichte Schwierigkeiten mit dem Handling haben könnten. Freude durchströmt dich. Nach einer Stunde hält man dann das gewünschte Ticket in den Händen. Glücklich umklammert, mit Schweiß gemischt. Keiner der Italiener kann Englisch und du hattest letztlich den Automaten, der gebrochen Englisch sprach. 
Es wurde alles berücksichtigt und man hat viel gelernt. 
Was ich euch damit sagen möchte: seid einfach eine gute Stunde vor Abfahrt eures Zuges am Bahnhof. Dann kann mit der Italienreise nichts schiefgehen, außer ihr nehmt den falschen Zug oder habt vergessen die Fahrkarte zu entwerten. Auch dafür tut ein Studium gut. 
Aber alles kein Problem. Im Inneren der Züge warten wirklich bequeme Sitze auf einen, viel sauberer Platz und eine fantastische Aussicht auf Dörfer und Landschaft. Das alles zum Spottpreis garniert mit echten Schönheiten als Fahrpersonal. 
Doch bevor man durch Italien fährt und schönen Halt in Padua oder Verona macht, erweist es sich als ratsam in der Schule unbedingt gut und lange aufgepasst zu haben. Damit man später Fahrkarten kompetent kaufen kann und nicht verzweifelt. Es ist notwendig diese Art von Aufgaben in der Schule zu behandeln. Mit Nachdruck! Jetzt sehe ich das eindeutig ein. 
Klar. Es geht sicher einfacher. 
Dachte ich auch. Handyticket ist sicher einfacher. Muss in Italien aber noch ausgedruckt werden! Die Zeiten des Taschendruckgeräts sind noch ferne Zukunftsmusik. Auch die Tintenfischgene hat noch kein Zellforscher beim Menschen entdeckt. Und mit Blut besiegelt man nur das Unvermeidliche. Deshalb sag 'Guten Tag' zum Automat. Sieh es positiv. Man kommt in persönlichen Kontakt. Ganz eng. Das ersetzt ein Handy eben nicht unbedingt. 


Samstag, 29. Oktober 2016

O sole mio! Venezia


Buon giorno. La loro prossima tappa: Italia! (Guten Tag. Ihr nächster Halt: Italien!) So hört sich das an, wenn man hier ankommt. Nur viel schneller und unverständlicher gesprochen. Und so sieht es hier aus: 
Pinienbäume und Dattelpalmen als vorherrschende Baumarten. Stolze Frauen mit schwarz gelockten Haaren, die einen wechselhaft wie die See anschauen und ihre bunte Wäsche auf Leinen vor verblichene Häuserfassaden hängen. Winzige Eidechsen, welche sich an den warmen Gartenmauern, von denen der Putz bröckelt, sonnen und diese flink hinabrennen, wenn man ihnen zu Nahe kommt. Lautstark gestikulierende Telefongespräche gegelter Männer Mitte vierzig, die mit einem Glas Aperol Spritz in der Hand auf ihrem Balkon oder im Café an der gut befahrenen Straßenecke sitzen.  Schnurrbärtige Zeitungsleser, die kopfschüttelnd die Schlagzeilen verfolgen oder im Rudel in Parks Scopa spielen. Zahnlose Bettler in uringetränkten Straßenunterführungen, die einem einen schönen Tag wünschen; Sonne, welche die Socken zum Dampfen bringt und recht angenehme Luft. Das ist das Treiben in einem Vorort von Venezia (Marghera), wo ich paar Nächte hause. Ein wenig wie im Pfadfinderheim braucht man von Venezia Mestre eine gute halbe Stunde zu Fuß zum Camping Jolly, wo hübsche Bungalows, ein durchgelegenes Feldbett und tierisches(!) Landheimflair auf einen warten. Mit gespitzten Ohren kann man auch -wem es an Anreiz fehlen sollte- die Nachtaktivitäten der Nachbarn durch die nicht schallisolierte Budenwand mitverfolgen oder zur Liveschaltung der Autobahn zappen. Aber der Preis ist heiß und wer sich nachts warm einpackt und es liebt, der ist hier glücklich. Einen edlen Pool gibt es hier auch. Wenn die Temperaturen so anhalten, teste ich ihn morgen aus. Wirklich! Also wenn er beheizt ist..
Per Busshuttle, das zum kleinen Preis dazugebucht werden kann und jede Stunde vom Camp aus fährt, ist man in gut 12Minuten am Busbahnhof in Venedig. (Pedro, unser Fahrer mit Goldkettchen und lichtem Scheitel, schaffte es in 9!) 
Nach der halsbrecherischen Fahrt mit südländischem Folkpop, viel Gehupe und Emotion am Steuer, kann man so lange man möchte durch die verwinkelten Gassen schlendern; circa 430 Brücken hoch-und runterlaufen und überall etwas entdecken, worüber man staunt. Der letzte Rücktransport zum Camp geht um 20Uhr, danach kann nur per öffentlichem Bus oder Zug sein Glück versucht werden. Das sollte der dann fußlahme Italienurlauber nicht versuchen, außer er will 20min im übervollen Bus quetschen und nach Luft ringen. Aber auch das ist eben Canal-Grande-Stimmung, wenn man verplant zur Rush-Hour kommt und geht (Achtung die Touris sind los!) 
Das ist dann der Teil der wirklich sehenswerten Stadt Venedig, den man aus Dokus kennt. Hat eigentlich jeder schon einmal davon gehört. Muss ich also gar nicht viel zu loswerden. Ist genauso wie man es berichtet: viel (nicht stinkendes!) Wasser; hübsche Boote und alte Gondeln, gelbe Wassertaxis für Faule; viel klassische Musik auf den großen Plätzen; schöngeformte Basiliken und alte Häuser, die einen in eine vergangene Zeit zurückversetzen; Städteurlauber, die ihre Koffer auf der Suche nach ihrem Hotel durch den Dschungel an Gassen ziehen; Kinder, die Tauben einzufangen versuchen; durchaus feilschende Händler; klickende Fotohandys und glühende Händchenhaltende; charmante Rosenverkäufer; schwarzhäutige Italiener, die einen echt gefälschte Prada-Taschen für Gucci verkaufen wollen; Pizza- und Eisstände, die 5 Sterne verdienen; Modeketten und natürlich auch modernes Großstadtflair uvm. Für jeden ist in Venedig etwas dabei. Dabei ist diese Stadt keine Kopie, sie bleibt doch einzigartig. 
Ich empfehle euch auch einen anderen Teil von Venedig. Da, wo weniger Trubel herrscht und man zum nicht unverschämten Preis (z.B. Tee -ja nur Tee- im Café am Markusplatz 15€!) Leckeres und Handgemachtes bekommt: das Universitäts- und Studentenviertel. Wer fernab der Hauptwege schreitet und die Sightseeing-Punkte (Rialto&Co) verdauen möchte, findet im hinteren Teil von San Marco tolle Gassen und Wege, die nur zu Kanälen und sanft planschendem Wasser führen und in keine weiteren Gassen oder Straßen münden: einfach nirgendwo hin! Einfach mal durch das Labyrinth gehen, hinsetzen und genießen. 
Wer hier einen Heiratsantrag machen muss, muss es machen oder wem es egal ist wo und der keinen persönlicheren Ort findet, macht es bitte einfach hier. Weißes Hemd und schöne Bundfaltenhose angezogen, artigen Knicks und gut. Ist überhaupt nicht abgedroschen. Ist hier schon sehr nett und im Herbst viel angenehmer als im Sommer. Nur den Ring nicht ins Wasser fallen lassen. Tauchen würde ich hier nämlich trotzdem nicht. Sehr trüb hier.
Ich tauche morgen nochmal ins Venedig des 21. Jahrhunderts ein. Habe ja erst die Hälfte der Insel eingesaugt. Morgen kommt die andere Hälfte dran. 
Entschlossen werde ich morgen auch gleich gegen diese lästige Klimaerwärmung vorgehen, die hier ordentlich zugeschlagen hat. Venedig ist das beste Beispiel. Extrem steigender Wasserpegel.  Von wegen 3mm/Jahr. Was ihr hier seht, verschlägt euch die Sprache. Macht mal die Augen auf und gafft nicht nur durch eure Kameralinse, liebe Fotoknipser! Wirklich! Die ganze Stadt ist unter Wasser. Und alle nehmen es gelassen! Die Sonne kann nicht alles richten und das Wasser verdampfen lassen. Das klappt nicht. Da muss auch mal ernsthaft für gearbeitet werden! Die ganze Stadt säuft ab und alle machen Fotos. In der nächsten Zeit reicht es nicht mehr nur mit Booten zu fahren. Die kurzfristige Lösung fällt plätschernd ins Wasser. Dann heißt es vielmehr U-Boot fahren für die Ewigkeit. Und was machen die Italiener? Die trinken drauf. Trinken einfach so Espresso. Denen ist die Tragweite gar nicht bewusst. 
Ich brauche jetzt erst einmal einen doppelten..Espresso. Dann gehts los mit der Weltrettung! Einfach großzügig die Adria abpumpen oder so. Und ach was solls, Zeit für ein kleines Gelato ist auch. Drei cremige Kugeln versteht sich. Dann gehts aber los. Und zwar so richtig. Vielleicht. Also morgen dann. 
Ciao






Donnerstag, 27. Oktober 2016

Der Schatz am Wörthersee: Klagenfurt


Es regnete ohne Vorwarnung. Leute suchten Flucht vor Nässe und Wind im Inneren des kleinen Bahnhofs. Und sie fanden Dailysoap, W-LAN und einen netten Plausch. 
Wir kamen abends in Klagenfurt in einer Schnellkette für "frisches" Essen ins Gespräch, welche den gleichen Namen wie die U-Bahn trägt, die es in Klagenfurt natürlich nicht gibt. Wie sich herausstellte, nutzte sie den schönen, warmen Tag ebenso wie ich um sich im Kreuzbergl-Areal fit zu halten und Sonne zu schlürfen. Von der Zillhöhe aus schaut man nämlich verträumt auf den herrlichen Wörthersee, atmet nebenbei viel Laub- und Nadelduft ein und lässt sich von herabfallenden Blättern faszinieren. Doch während der ansprechenden Wanderung kannten wir uns noch nicht, da sie bereits vormittags mit ihrer Oma eine kleinere Runde am Berg lief, wie sie mir später erzählte. Ich kam erst zum frühen Nachmittag dazu die Stadt und Umland zu erkunden und gab mir mutig den größeren Rundweg. Eigentlich ungeplant, aber meine Füße wollten nicht stillstehen. Es lief sich gut. 
Da heute Nationalfeiertag ist, haben keine Läden oder Geschäfte auf. Die Stadt war wie leer gefegt, aber dekorativ rot-weiß beflaggt. Alle Sonnenhungrigen tummelten sich am Wörthersee mit Blick auf Schloss Loretto. Nur der Bahnhof diente allen anderen, die wirklich hungrig waren, als Futtergrippe. Auch Mathilda und mir.
Sie ist Anfang zwanzig, kommt aus einem Dorf bei Graz. Aus heiterem Himmel wurden wir beide Zeuge eines Trennungsgesprächs zwischen einer Mitarbeiterin der U-Bahn-Essenskette, die am Tisch in der Nähe Pause hatte und ihrem Macker, der wirklich einer war. Als er lautstark nach einer Entschuldigung für seine erbärmlichen Brunftrutenausschweife suchte, trafen sich plötzlich Mathildas und meine Blicke und wir rollten simultan mit den Augen. Als die Mitarbeiterin den Macker klasse abservierte, grinsten wir beide in unseren Sandwich hinein. Das reichte um nach dem Verzehr unserer Speise ein Gespräch anzufangen. Mathilda schaute etwas zu lange auf ihr Smartphone ohne wirklich etwas zu tun. Das war das Zeichen, dass sie noch nicht wegwollte. 
Sie ist hobbymäßig an Dressurreiten interessiert und pflegt als Nebenjob Pferde, die von ihren ehemaligen Haltern falsch gehalten oder sogar misshandelt wurden sind oder die von Unfällen Schäden davongetragen haben. Sie therapiert also Pferdeseelen. Sie ist der Pferdeflüsterer, könnte man sagen. 
Dabei ist sie gerade einmal 165cm groß und muss sich mit teilweise riesen Kaltblut-Pferderassen und störrischen Hengsten abmühen. 
Es braucht alles Zeit und viel Vertrauen, sagte sie mir. Die Heilung der Tiere dauere sehr lange und es kann Rückschritte geben. Manchmal werden die Tiere nie mehr wirklich gesund oder verletzen andere Tiere oder Pfleger. Sie selbst hatte auch schon mehrere Reitunfälle, gab sie leichthin zu bekennen. Einmal wurde sie von einem wild gewordenen Pferd geworfen und brach sich kompliziert das Handgelenk. Ein andermal trampelte ein Pferd mit seinen 500kg direkt auf sie drauf und wälzte sich auf ihr. Wie sie ohne Brüche davonkam, wusste keiner der Ärzte plausibel zu begründen. Nur mit ein paar Prellungen und Organstauchungen musste sie zwei Wochen zur Aufsicht ins Krankenhaus. In die Reittherapieschiene ist die schlanke und wirklich hübsche Mathilda aber nur hineingerutscht. Sie reitet selbst seit 15Jahren und betreut seit Kindesbeinen an ein gemietetes Pferd, einen Wallach mit Namen Billy, das sie in jeder freien Zeit besucht. Damals wie heute wird für die Pflege und Betreuung viel von ihrem Taschengeld eingesetzt. 
Ihre Sprache ist höchstes Niederösterreichisch, obwohl sie aus Graz kommt, sodass ich wirklich überaus aufmerksam hinhören und so einiges dechiffrieren musste. War mir etwas zu Abenteuer, fragte ich nach. Es passte aber zu ihr.
Sie hat einen Freund, was sie mir ungefähr 8x erzählte, damit ich es auch ja nicht vergessen könnte und die Message klar ist. Frauen sind eben so. Wobei das gar nicht nötig gewesen wäre. Ich wusste seit dem Augenrollen und unserem  Sandwichblickkontakt, dass sie vergeben ist. Sowas sehe ich immer gleich. 
Sie studiert in Graz Lehramt für  Volksschule -vergleichbar mit unserer  Grundschule-, hat davor 1 Jahr im Kindergarten gearbeitet und sich dann fürs Studium entschieden. Mathilda besuchte in Klagenfurt ihre Oma und fuhr nach unserem Gespräch per IC-Bus zurück nach Graz. Dort in der Nähe wohne auch ihr Freund, der Medizin studiere, wie sie anschließend wiederholte und den sie kaum sehe. Das wiederholte sie nicht. Aber sie kennen sich lange, seit der 8. Klasse und kriegen das hin: Studium und ihre Beziehung, die schon lange besteht und die man nicht einfach aufgibt. Die gibt man doch nicht auf? Sie schaute mich fragend an. Es brauchte etwas bis ich die Worte fand. Als ich sagte es brauche alles Zeit und Vertrauen, lächelte sie, denn es waren ihre Worte mit denen sie mir vor 20 Minuten ihre Pferdetherapie erklärbar zu machen versuchte. 
Dann bedankte sie sich für das Gespräch mit einem Blick, der mehr sagte als Abschiedsworte vermochten und ging zum Bus. Ich ging wenig später auch. In die andere Richtung. Zur Innenstadt. Ich trat in den nur noch leichten Nieselregen hinaus und machte mich auf den Weg zum Hostel. Mit so viel Zeit ich eben brauchen würde und im Vertrauen auf meine neugewonnene Ortskenntnis.
Zeit und Vertrauen. Etwas, das man niemals aufgeben sollte.


Mittwoch, 26. Oktober 2016

Ein Schäfchen erzählt von der Weide


Die zweite Nacht in Graz war ich nicht allein. Ein Osteuropäer kam in den Raum. Das erkannte ich sofort. Und was für einer. Joseph aus Slowenien, Mitte fünfzig, breiter, rundlicher Schädel, kurze Haar-und Bartstoppeln, volles Kreuz, auffälliger Bierbauch, Lederjacke, aber vergleichsweise klein. Das erste Äußere erinnerte mich an einen Motorrad-Rocker, der etwas in die Jahre gekommen ist und mir nur mit seiner Aura problemlos das Genick brechen könnte. Wie kommt dieser Hells Angel nur in dieses Hostel? Seine Augen jedoch änderten alles. Seine Augen waren die eines alten Hundes, der viel erlebt hat und müde ist, aber noch genauso treuherzig und ergeben ist. 
Nach dem ersten Schreck, sprach ich ihn an. Wir gaben uns die Hände. Nach seinem kräftigen Händedruck unterhielten wir uns über seine Vergangenheit, über die er recht bereitwillig Aussage erteilte. Joseph hörte kaum mehr auf zu erzählen. Sein massiger Körper hatte dabei etwas Gebrechliches an sich. Auch die Stimme war verwandelt. Er sprach leise und gefasst. Nur selten blickte er zu mir auf. Dann ließ er meistens eine Pause, in der ich ihm mit meinen Augen zu verstehen gab, dass ich das Gesagte verstanden habe. Mit einem Nicken drängte ich ihn dann weiter zu erzählen. Mir kam es so vor als sprach er eher mit sich selbst. Als wollte er sich seine eigene Geschichte mal ernsthaft erzählen. Er war nie Rocker oder in einer Motorrad-Gang. Joseph war selbst Schafzüchter, Schlachter, Fliesenleger, Gabelstaplerfahrer, schleppte Kisten, Baumaterialien und Technik, studierte später in Slowenien & Slowakei und besuchte Weiterbildungen in Australien, um in Österreich wichtige Abschlüsse anerkennen lassen zu können. Jetzt ist er seit 7 Jahren Head-Organizer- und Eventmanager in einer Tochterfirma eines großen Wiener Vorzeigeunternehmens für Bühnenbau und -technik. 
Wir schauten zusammen Nachrichten im TV unseres Hostelzimmers. Komisch einen Fernseher hier zu haben. Eigentlich etwas, das schwer in meinen Backpacker-Rucksack und zu meiner Reisephilosophie passt. Wir schauten Nachrichten. Damit was lief. Ablenkung, sagte er. 
Bilder flackerten über den Monitor. Und über unsere Augen. Seine trüben, meine braunen. Ich sah keine Nachrichten. Was ich sah, waren vergangene Bilder. Bilder seines Lebens. Hell, dann verblassten sie. Am Ende der 22 Uhr Nachrichten sah ich Joseph zum ersten Mal deutlich. Ich erkannte den Mann hinter der Lederjacke und den trüben Augen. 
Er zieht alle paar Tage oder Wochen durch Österreich. Seit 3 Jahren nicht mehr durch ganz Europa. Das war ihm zu stressig. Österreich halte für den ganzen Stress auch alleine her, sagte er mir. Er kennt Kaiserslautern, wo er 4 Jahre gelebt hatte und gut Deutsch gelernt hat. Den osteuropäischen Einschlag wird er aber nie wegbekommen.
Er hat keine Frau und keine Kinder. 
Auch wenn es nach den TV-Nachrichten düster im Raum war, sah ich, dass seine Augen bei Erwähnung von Familie noch trüber wurden. Von Martina hat er sich vor vielen vielen Jahren einvernehmlich getrennt, als er außerhalb Sloweniens angefangen hat zu arbeiten. Beide haben entschieden, dass das schnelle, große Geld dies Wert sei. Die Chance, welche verlockend war. Die Chance, welche das große Geld zäh und langsam durch harte, stumpfe Arbeit brachte und die nur ein dummer Einfaltspinsel nicht genutzt hätte. Doch dieser ist Joseph keinesfalls. Er weiß was einfältig bedeutet. Denn er kennt sein Leben. Und dies ist sein Leben: er kommt viel rum, die Kasse klingelt bei Auftritten von RedHotChiliPeppers, Rammstein und Co - in der Sommerzeit besonders gut. Er kommt oft irgendwo an, aber niemals so richtig, schläft in Hostels oder Unterkünften, die sein großer Chef ihn gönnerhaft zur Verfügung stellt. Geht früh schlafen, steht sehr früh auf. Er kommt aber nie wirklich an. Er lebt im Dazwischen; und dies macht ihm zu schaffen. 
Er möchte wieder zurück nach Slowenien, in sein Dorf, zu seinem Grund und Boden, den sein Halbruder mehr oder minder gut bewirtschaftet; und zu seinen Schafen. Das war was für ihn: Schafe weiden sehen, sie schären und sie essen. Sein Stück Land und die Schafe. Die fehlen ihm. Er möchte zurück nach Slowenien. Bald hat er so viel verdient, dass er die nächsten Jahre nur mit seinen Schafen irgendwie über die Runden kommt. Er möchte zurück. 
Zurück auch zu Martina, die er immer noch gern hat und mit der er nie zusammen sein wird. Er weiß, dass er sich verändert hat und sie wissen es beide. Sie hat ein anderes Leben. Ein Leben ohne ihn. Und er weiß, dass es gut so ist. 
Paar Jahre will er noch arbeiten, rumziehen, aufbauen, abbauen, verhandeln, anleiten, überprüfen. Dann will er wieder in sein Dorf im Westen Sloweniens zurück. Nur für den Winter nicht. Da ist es zu kalt, zu trist, zu unwirklich und zu einsam. Da könne er nicht mehr sein. Jetzt nicht mehr. Da würde man ganz komisch, vertraute er mir an.
Zeitig ging er schlafen. Als sich seine trüben Hundeaugen schlossen und schnell sein ohrenbetäubendes Schnarchen einsetzte, dachte ich wie er: Was zählt ist das Event. Nur das Konzert über die Bühne bringen. Morgen soll es trocken bleiben. Gut für den Aufbau. Gut für die Jungs. Schlechtes Wetter beim Aufbau, schlechte Stimmung bei den Jungs. Morgen soll es gute Stimmung geben. Wenn alles gelaufen ist, gehts danach wieder nach Wien zum nächsten Event. Aber nur noch ein paar Jahre. Ein paar Jahre noch. Dann höre ich auf damit. Dann geht es zurück zu meinen Schafen...
Lange dachte ich über Josephs Worte nach. Egal welches Wetter morgen sein wird. Ich hoffe, dass er seine Schafe immer ins Trockene bringen wird.


Dienstag, 25. Oktober 2016

Ich und mein Graz. Grazi, Grazi, Graz!



Im schwarzen Trauerflor (symbolisch) habe ich Wien also hinter mir gelassen. Vor mir liegt eine Großstadt angenehmer Größe: Graz. Im Sonnenlicht. Das Aufbäumen des Spätsommers ist deutlich in Luft und an Bekleidung der Menschen spürbar. Man merkt, die Reise geht nun  nach Süden. Mein erster Eindruck:
Alles halb so Graz wie gedacht! Viel viel schöner als Linz. Natürlich reicht es nicht an Wien heran, aber das muss es auch nicht! Denn Wien ist Wien und Graz ist Graz. Beide sind für sich betrachtet hübsche Orte. Auch wenn der persönliche Zeiger gern zu einer Seite ausschwenken würde. Doch es ist verdammt schwer solche Vergleiche eben nicht anzustellen! Auch und gerade im Leben. Man vergleicht. Immer! Angefangen in der Schule: Torben schafft es auf Klassenfahrt 4 Rum-Cola in 3 Minuten zu exen, Timmi nur 1,5. Torben bekommt eine Freundin und darauf ins Krankenhaus. Timmi bekommt keine Freundin ab, kann aber nach Hause fahren und versucht beim nächsten Mal mehr zu schaffen. Das ist soziale Bezugsnorm. Vergleichen. Man vergleicht z.B. das letzte Konzert seiner Lieblingsband mit dem gerade laufenden und betrügt sich im Genuss des Moments. Man vergleicht das galaktischste Sushi seines Lieblingschinesen, von dem man ein Geschmacksorgasmus hatte, mit der im Laden gekauften Variante. Oder, um noch deutlicher zu werden, man vergleicht die Marotten und Praktiken des neuen Partners mit denen des letzten Ex. Es wird immer verglichen. Doch das muss man nicht (zwangsweise). Das Leben, Menschen und Städte sind pauschal nämlich schwer vergleichbar. Das ist der Sache an sich und dem individuellen Subjekt gegenüber nicht fair. Wir leben aber in einer Welt in der wir Vergleiche bewusst oder unbewusst anstellen (müssen). Weil eben nichts an sich ist, sondern nur in Beziehung zu uns. Zack, verglichen! Zack! Schon wieder verglichen! Effizienz trifft da auf Effektivität. Vergleiche anzustellen hilft uns in Kategorien zu denken und Energie zu sparen. Oft wissen wir aber nicht welche Maßstäbe wir zum Vergleich nutzen. Manchmal ist es dahingehend besser Kategorien zu sparen und denkende Energie einfach rauszuhauen, bis man die Kategorien klar hat. Das mache ich jetzt mal. Wenig ressourcensparend:
Die Reise von der Hauptstadt ins Land der Weststeiermark kann mit Fug und Recht als eine der schönsten Zugstrecken des Landes angesehen werden. Der moderne und saubere Railjet der ÖBB schlängelt sich durch Paradelandschaften alpiner Märchen: Täler, Flüsse und kleine Schluchten. Er überquert Brücken, kriecht durch Tunnel, lässt verstreute Hütten und braungescheckte Kühe anmutig vorbeiziehen; passiert Bergstraßen, die sich stur den Weg durch orange-grüne Baumlegionen bahnen. Der aufmerksame Fahrgast drückt sich die Nase an rauen Klippenbergen und Steilhängen platt, auf denen ganz oben Kreuze oder kleine Kapellen stehen -gehalten von Luft und blaugrauem Himmel. Fehlen nur Almbläser in Tracht mit Langhörnern!
Dann ist man auch schon im galaktischen Bahnhof der Stadt Graz. Gleich daneben ist mein Hostel gelegen. Hier ist alles echt A&O. Nur W wurde nicht erreicht. W-LAN klappt nicht wirklich, sodass ich morgen vielleicht mal zum Free-WiFi am Bahnhof tingeln werde, um etwas abzusenden. Ich teile mein 4er-Hostelzimmer, das stark an ein Hotelzimmer erinnert, ganz transparent mit 3 transzendentalen Mitbewohnern, d.h. ich bin allein! Was zur Abwechslung auch erfrischend gut tut. Auch wenn ich bisher nur Glück mit meinen reisenden Zimmerkollegen hatte und mir das Vertraute einiger Bekanntschaften durchaus fehlt, gibt es kein Schnarchen, kein frühes Kofferpacken oder spätes Bettgequietsche, kein irgendetwas, das an jemanden in unmittelbarer Nähe erinnert. Zum ersten Mal in der Unterkunft auf der Reise, nur Ich. Zur Abwechslung seltsam guttuend.
Gut tun auch die einst hängenden Gärten von Graz, deren Weinstöcke allerdings nicht mehr in Traubenpracht stehen. Der Schlossberg, an seinen Hängen vor 400Jahren der Waldrapp sang, ist das Herz dieser Stadt und er gewährt einen Blick, der befreit. Gleich neben dem Wahrzeichen, dem einmaligen Uhrenturm, führen viele eigene Wege zu der Stadt hinunter, die mir gefällt. Die Stadt, die das einladende Kunsthauscafé hat, das futuristische Kunstmuseum, die Buden und Wagons am Hauptplatz, Skateboarder, die sich von Hunden über grobes Pflaster ziehen lassen, ansteckende Straßenmusik, jugendliche Fußballspieler im Volksgarten, die eigenartige Murinsel, den schweißtreibenden Kriegssteig und und und. Es ist ein passendes Bild. 
Graz passt hier gut her.
Mein Graz ist sicher nicht dein Graz. Fahr mal hin, dann können wir vergleichen, ob ich damit kategorisch falsch liege. Ich vergleiche diese Aussicht auf die Stadt nicht. Sie bleibt in meinem Kopf. Unvergleichlich!





Sonntag, 23. Oktober 2016

Sahnig, fruchtig, frisch..Hinein ins Wiener Feeling!


Peinlich gepflegte Gärten mit einem geschlossenen 50mm Rasenteppich werden abgelöst von sprudelnden Wasserspielen, in denen das klare Nass, nachdem es schäumend und geräuschvoll ins Becken planscht, ein perfekt gleichförmiges Muster auf der bewegten Oberfläche bildet. Grünende Buchsbaumgewächse, die kopfhoch in exakt geometrischer Kegelform -oder wie ein länglicher Pyramidenstumpf die leicht knirschenden Kieswege einfassen, bannen den Blick des Betrachters.
Erste zögerlich küssende Paare sitzen halb umschlungen auf der Holzfläche gusseiserner Bänke, von denen der funkelnde Morgentau flüchtig weggewischt wurde. Gequält schauende Jogger sind durch die Frühe unterwegs, wobei sie durch die mit allerlei barocken Skulpturen und Fabelwesen gezierten Parkanlagen krauchen als gäbe es für jeden zurückgelegten Meter die Vergebung für ihre unerlaubten Fressattacken in der Abendstunde. Dazu Touristengruppen, die per pinken Regenschirm oder zweckentfremdeter Reitgerte über das großzügige Anwesen geschleust werden. Verschlafene Schulklassen, die vor den barbusigen Sphinxen-Statuen aus Stuck-Marmor kreative Selfies knipsen. Und Sonne, die einen kraftvoll wärmend auf den Pelz scheint. Das alles ist Weilen auf Schloss Belvedere. 
Belvedere, bestehend aus oberem und unterem Schlossteil.
Was bei all der Versailles-Stimmung nicht fehlen darf, sind gesundheitsbedenklich aufgespießte Tierköpfe aus Bronze und 1005 schwimmende Rettungwesten von Flüchtlingen im kniehohen Schlossteich. Ein schwimmendes Mahnmal  aus künstlichen Seerosen. Ai Weiwei, der renommierte Konzeptkünstler, Aktivist und Botschafter für Gegenwärtige Kunst und Flüchtlingspolitik (Slogan: "Alles ist Kunst - Alles ist Politik"), stellt hier und einige Meter entfernt einige seiner beeindruckenden Exponate aus. 
Das ist Belvedere von heute. 
Sehr gut anzuschauen, auch von Innen. Sehr "gut" auch im Eintrittspreis...nicht!An Pomp und Prunk steht Belvedere Schloss Schönbrunn nicht in zu viel nach. (Auch wenn mir dafür die Ösis unverständlich eine heiße Käsekrainer um die Ohren hauen werden.) Müsste man sich entscheiden, votiere ich klar (nicht für Trump, sondern) für den Kaisersitz Schönbrunn.
Dürfte man selbst wenig freundschaftlich mit Kultur gestimmt sein, sollte man sich dies dennoch geben. Wenigstens das Basic-Paket. (Danach kann man immer noch einen Apfelstrudel liebhaben!) Wenn nicht entweder auf der Parkbank des Stadtparks Schokolade futtern und Gespräche belauschen oder einfach noch dem Leben zugucken und paar Runden so durch die Stadt und ihre vielen sehenswerten Plätze drehen. Im Riesenrad versteht sich. Am Prater. 
Am Praterstern-Riesenrad dreht es sich am besten und das auch noch von ziemlich weit oben. Da schaut der Höhentaugliche gediegen über orangefarbenes Gelb-Grün der Arenawiese, wahnwitzige Fahrgeschäft-Attraktionen und Stadt. Besonders kurz vor Sonnenuntergang ein wahres Erlebnis. Da küsst die Sonne alles und jeden. 15 Minuten Magie im großen Hamsterrad. Wie Zauberei ist dann auch das Geld weg. 
Wer es Bunt mag, stattet einen Spaziergang entfernt dem Hundertwasserhaus einen Besuch ab; streitet über Nivellierung des menschlichen Geistes durch gerade Linien, diskutiert über Ästhetik des Geschmacks und läuft Gefahr die physikalischen Baugesetze über Bord zu werfen. Gerade und eintönig ist es am etwas anderen Wohnhaus nicht gerade. Vielmehr ist hier die Koexistenz und Dynamik der verschiedenen Dinge und der Menschen greifbar. Das wollte auch der Schaffer, der Milieu-Opa von Nebenan und Szene-Ausnahme-Künstler, der ziemlich scharfsinnige Friedensreich (Regentag Dunkelbunt) Hundertwasser so. Wer nicht weiß, warum dies Not tut, dem empfehle ich einen genauen Blick auf die versklave Architektur (Einkaufszentren, Hotelbaus,...) seiner näheren Großstadt zu werfen. Das spricht Bände. Danach weiß man, was eine etwas andere Wohn-und Lebekultur erreichen kann. Solch ein Hundertwasser sollte mal wirklich nachhaltig durch jede einzelne Großstadt spülen! Spülend leicht. Aber volle Wirkung!
Mit Kunst und Krempel vollgepumpt setzt man sich darauf am besten am Karlsplatz oder im Museumsquartier in eines der scheenen Wiener Caféhäuser und gibt sich eine Kaffeeinfusion mit Melange oder ordentlich Schlagoberst. Einfach weilen ohne zu eilen. Da angekommen holt man sich gedanklich den letzten Sonnenbrand des Jahres und wartet schon einmal darauf, dass die Beachvolleyball-WM anfängt, die 2017 auf der Donauinsel ausgetragen wird. 
Bleib einfach bis zum Sommer hier! Bleib hier, wenn du kannst. Ich kann nicht, muss weiter. Will euch und mir noch andere schöne Dinge zeigen. In mir sprudelt es. Ernsthafte Konkurrenz zum Wasserspiel in Belvedere. Die Zeit treibt mich fließend weiter. Zum nächsten schönen Ort. Aber erst nach morgen. Und morgen ist fern. Deshalb nochmal Kopfsprung voran. Hinein ins Wiener Feeling.


Freitag, 21. Oktober 2016

Von Ampeln und Entscheidungen

Neues aus der Serie "Das Hostelzimmer." Mit der Folge: "Alles beginnt mit einer Verkehrsampel!"
Heute mit Starbesetzung: Nick aus Taiwan, Camille aus Australien und Lorraine -auch aus Australien!  Und das wars schon. Diesmal klares Vier gewinnt im Vierer-Dorm (mit mir). Die rote Verkehrsampel schaltet gleich auf Grün. Achtung, los geht's:

Nick ist Mathematiker vom Dienst und hatte von seinem 15-Stunden-Weltenflug einen Jetlag à la bonne heure, sodass er kurz nach seiner Ankunft die Matratze ausprobierte und fast augenblicklich einschlief. Die kurze Gesprächszeit, die uns blieb, nutzten wir Jungs effektiv. Wir nutzten Sie, um all dasjenige zu erfahren, was wir über einander wissen müssen. Nick ist leise, ein Frühaufsteher, reist in den Ferien immer allein, ist sehr höflich, lacht viel, ist das erste Mal in Wien und bleibt wie ich 4 Tage im Wombats. Ein umgänglicher, unkomplizierter Hostelbuddy. Wir vereinbarten den Getränke-Freigutschein, den wir beim Check-In erhalten haben, morgen in der Lounge (dem hosteleigenen Club im Kellergewölbe) gemeinsam einzulösen. Taiwanesischer Bubble-Tea meets German Bier. So läuft Völkerverständigung. Ich dachte auch noch etwas anderes: Schlimm, dass bei Reisen immer der kürzeste Widerstand zum Bier gesucht wird... 
Kurz nachdem bei Nick die Lider zuklappten, kam Camille herein. Ihre Freundin käme später noch nach. Sie intonierte "my girlfriend" sehr eindeutig, das stellte sich aber später als nicht zweifelsfrei korrekt heraus. Also zumindest beziehungstechnisch. Camille ist nicht mit Lorraine zusammen. Camille hat einen jüngeren(!) Freund, der in Australien weilt und in den Examen der Highschool steckt. Lorraine hat mal den, mal den "Freund" wie sie ganz offen zugab, als sie abends beim Zähneputzen plötzlich neben mir im Bad erschien und ihre Wimpern längte und abenteuerlich bog. Privatsphäre nahm sie wohl auch nicht so genau. Sie malträtierte ihre Wimpern mit einem komischen Werkzeug, das an ein mittelalterliches Folterinstrument erinnerte und ich noch nie gesehen habe. Sie testete gleich nach dem erfolgreichen Gebrauch ihrer Wimpernzange die Hostel-Lounge aus und verschwand. (Auch aus dieser Geschichte) Um 4:30 Uhr in der Früh sollte sie dann ins Bett fallen...Aber die Story dreht sich nicht um Lorraine (auch nicht um Nick), sondern um Lorraines mitgereiste Freundin: Camille. 
Bevor es mit der eigentlichen Geschichte (eine wahre Begebenheit!) losgeht, die ich für unbedingt erzählbar halte, baue ich einen Cliffhanger ein und gebe mehr oder weniger triviale Hintergrundinfos, die aber die spezifische Handlung auffrischen. 
Da ich mittlerweile in jeder meiner Unterkünfte Koalas (Kosename; hier gemeint: Australier) getroffen habe und die gesammelten Eindrücke über diese Personen weitestgehend deckungsgleich waren (weiblich, reisend, jung), darf ich euch das Best of über junge Australier und ihre Reisegründe schonmal vorweg unterbreiten. Los geht's: 
Es startet mit einem kindischen Versprechen in der Schulzeit, dass sich zwei australische Mädels geben. Denn Versprechen sind in der Schule fett angesagt und cool! Ein gemeinsames Geheimnis, das man teilen kann und hütet wie den letzten Kinderriegel in der sonst leeren Schokoladenschachtel. Sie wollen irgendwann einmal zusammen (nach und) durch Europa reisen; glauben aber beide nicht daran dies wirklich machen zu können und durchzuführen. Es ist ja alles irreale Zukunft. Weit weg und wird eh nie eintreten. Aber zwei naive Mädchen schwören es. Sie schwören heimlich auf ihren Traummann und auf ihre eigene glitzernde Jahrtausendhochzeit. Danach besiegeln sie es auf Mädchenart: sie umarmen sich fest und heulen was das Zeug hergibt. Der Pakt ist geschlossen. Europa ist weit weg und das Geld dazu auch (Die Am-Ende-des-Geldes-ist-immer-so-viel-Monat-übrig-Geschichte kennt man). 
Also keine Sorge, dass das Versprechen jemals in die Tat umgesetzt werden wird. Das Highschoolende ist auch noch laaaange hin. 
Doch DANN! Dann ist es doch passiert! Es gibt doch immer einen Zeugen, der mithört oder dem man es doch anvertraut hat. Man muss es durchziehen. Darüber hinaus ist Highschool vorbei. Man muss es jetzt machen. Man hat es sich doch versprochen! Man muss es tun. Kneifen geht nicht. Man tut es. 
Dies ist die lose, allgemeine Rahmenhandlung. Nun wird sie spezifiziert auf mein australisches Zimmerensemble. Folgender Fall:
Die zwei guten Freundinnen (Lorraine und Camille) nahmen nach ihrem Highschoolabschluss allen Mut zusammen und reisten mit Zweifeln im Bauch los. Ab ins Ungewisse. 4 Monate sind sie schon dabei. Beiden gefiel es. Lorraine wird weiter reisen, da sie davon (und von anderen Dingen...) nicht genug bekommt. Camille hingegen kehrt in 2 Wochen zurück. Sie hat schreckliches Heimweh und vermisst ihren Freund. Und macht sich Sorgen um ihre Beziehung. Große Sorgen. Ich weiß nicht, weshalb mir diese Offenbarungen gelingen, aber wenn jemand abends im Bett weint, fragt man doch nach, was los ist, oder? Man fragt nach! Das hättest du doch auch getan! Na klar hättest du das. Es lässt einen nicht kalt. Mich ließ es nicht kalt. Und verkehrt macht man es nur, wenn man so tut als würde man schlafen. So schlafen wie Nick. Nur dass er wirklich schlief! Keinen Vorwurf an ihn oder auch, wenn ihr es nicht getan hättet. Also ich sagte bereits: Nick klinkte sich super aus dieser Heißen-Stuhl-Situation aus und schnarchte froh in sein Kissen. Thomas war nicht ganz so froh. 
Allein mit der Nacht und dem Weinen wollte er irgendwie helfen. Weinen mit Grund ist besser als Weinen ohne Grund. Ich fragte also Camille, was los sei und erfuhr die Dinge, die ihr mittlerweile schon wisst: Beziehungsgeister und Heimweh. Aber eher mehr Beziehung. 
Wir unterhielten uns im gelben Lampenschein der Bettlampe lange über das Gefühl von zu Hause weg zu sein und über Beziehungen. Ich hütete mich davor ihr Ratschläge zu geben und dabei wollte sie ganz dringend welche von mir hören: Ich bin ja schließlich der alte Typ, der studierte Typ und der Lehrer-Typ. Tja, wenn sie wüsste, dass dies alles hier wenig Expertise bedeutet.. Ich ließ ihren inneren Drang nach Mitteilung freien Lauf. Sie erzählte und ich hörte nur zu. Das half ihr glaube ich am meisten. Auch wenn ich ihr die Sorge nicht gänzlich nehmen konnte, dass ihr Freund sie evtl. verlässt, sie betrügen könnte noch dass alles so sein wird wie vorher. Aber sie hat Optionen. Sie hat Möglichkeiten. Möglichkeiten wie sie ihre Sorgen aufklären kann. Dies versuchte ich aus ihr herauszulocken. Dies versuchte sie aus sich selbst hervorzulocken. Ich half nur ein bisschen. Jeder kennt das: Manchmal ist das Leben nicht einfach. Und das gehört dazu. Man sitzt es aus und verzweifelt langsam oder man versucht sich das schwere Leben von der Seele zu reden. Wenn man dies tut, ist es gut, wenn einer da ist, der einem dabei zuhört. Es sollte immer einer da sein, der einem zuhört, wenn man es will. Oftmals fällt es leichter einem Aussenstehenden etwas, was einem wichtig ist,  anzuvertrauen als seinen Liebsten. Doch man sollte nicht vergessen es ab und an seinen Liebsten anzuvertrauen. 
Und mit diesem Anvertrauten sollte man ernsthaft umzugehen versuchen. Es als etwas Ernstes behandeln. Das ist menschlich. 
Wie Wien. Diese große Stadt hat selbst in einem interkulturellen Hostelzimmer gezeigt, dass sie menschlich ist, wenn Menschen sich dazu entscheiden.
Wenn nicht, dann sollte man sich vorerst wenigstens an die Wiener Ampeln halten. Selbst Ampeln haben das Beste des Menschen verinnerlicht. Sie sind Boten Amors und stacheln ganz selbstverständlich zur Zwischenmenschlichkeit an. 
Sei mehr wie die Ampel. Egal ob Grün oder Rot. Gib ein Signal. Gib den Weg frei und reiche eine Hand. Ein Mensch könnte genau diese brauchen, um sicher durch den Verkehr seiner Welt zu kommen.





Donnerstag, 20. Oktober 2016

Vienna Calling!



"Hello, dear? VIENNA calling."
...
"Hello - Ohoho. Vienna calling! (2x)
Wien, nur Wien, du kennst mich up, kennst mich down, nur Wien, nur Wien,  du kennst mich allein. Wien, nur Wien, nur Wien, ja wo sind deine Frauen?"

Warum die Wiener Madels so einmalig sind und man sie deshalb vermisst, wenn man nicht im damaligen Vindobona weilt, fragte sich bereits Johann Hölzel alias Falco. Dieser besang 1985 mit dem gleichnamigen Titel "Vienna Calling" nicht nur für mehrere Wochen die österreichischen und internationalen Spitzenplätze der Charts, sondern sprach der Wiener Lebe-Mentalität aus der Seele und hatte absolut recht damit. Ausstrahlung, "a grandios Charisma" wie es hier genannt wird, haben viele Wiener, weiblich wie männlich. Das alles aber mitsamt einer saumäßigen Aussprache! (Als sprachwissenschaftlich Angelernter muss man das anmerken. Nur ganz am Rande.) So wird hier bspw. überall gerne gegenseitig Grießbrei an den Kopf geschmissen, anstatt gesittet gegessen (Griaß di). Wenn man sich hier trennt oder nach Hause geht, wünscht man den ollen Gesprächspartner sogleich in die verwaisten Berghänge der Alpen, wo man Widder anschauen soll (Wiedda schauuuon). Oder es eskaliert beim Kaffeeplausch gehörig: Mir langts (Melange)! Auch ist der Pessimismus und die Todessehnsucht unter den Wiener (Würstchen) groß ausgeprägt. Nach dem eigenen Befinden gefragt, wollen alle immer nur einen Gurt (eh guat). Wahrscheinlich um sich lebensmüde zu erhängen. Schrecklich! Da traut man sich gar nicht mehr zu fragen und schaut nur betrübt auf die eigenen Füße. Das sind nur einige Beispiele für Sprachverfall vom Feinsten. Meine Theorie ist folgende: Wahrscheinlich liegt das an dem hohen Schnitzelkonsum. Denn wenn das so weiter geht, gibt es bald auch keine Wiener Einwohner mehr!!! Da müssen dringend Alternativen her! Da müsste dann das Wiener Schnitzel in Touristen Schnitzel unbenannt werden. Dies könnte sich aber unter Umständen negativ auf Hotelbuchungen ausüben. Die Folge wäre der wirtschaftliche Kollaps und.. Grützwurst! Naja dann lieber weiter machen. Der Kannibalismus hat mit dem Schnitzel sichtlich seinen höchsten Genuss gefunden...Apropos Genuss: Auch Leseratten sollten ihr Hobby in Österreich niemals öffentlich machen und im laufenden Gaststättenbetrieb dem Bücherwälzen nachgehen. Entscheidet sich der Gast vom herannahenden Ober genötigt dazu seine verspeiste Sachertorte abzutrainieren und langsam zu zahlen und spricht -ein Auge auf dem Daniel Kehlmann lassend: "Na ein Seiterl noch, dann bezahl ich", kommt man niemals weg! Das wars für den Abend! Vielmehr wird einen dann immer ein neues BIER aufgetischt, auch wenn die Seite schon fünfzig Mal zu Ende gelesen wurde. Am Ende ist die Rechnung dann so lang wie der Roman, den man völlig blau durchschwommen hat. Tritt man dann in die mitreißende Nacht hinaus, spricht man dann jede Frau mit "Du hast schöne Augen" an. Was ehrlich gesagt gar nicht so leicht zu beurteilen ist, da einen die Dunkelheit übel mitspielt. Man möchte im hölzelschen Cha-Cha-Cha durch diese wundervolle Stadt tanzen und alles aufsaugen. Auch wenn dabei die Füße nass werden. Doch Socken haben sichtlich mehr Saugkraft als erwartet. Freudig sprang ich nämlich den Regenschirm schwingend in Pfützen umher und hörte das komplette Falco Album hoch und runter. Diese Stadt pulsiert und ist doch gleichsam so verletzlich und schnell eingeschnappt wie ein bockiges Schulkind. Ab und an trägt sie die Nase höher als sie müsste. Aber gut. Wien ist das glänzende Tor zum Osten schlechthin und gefällt sich selbst auch gut darin. Von der alten Habsburger Demütigung diese Stadt im 13. Jahrhundert nur gelegentlich mal zur Hauptstadt zu machen, hat sich Wien toll erholt. So toll, dass 4 Tage kaum reichen werden sich an ihrem Angebot satt zu sehen. Man dürfte einfach nie blinzeln, da man sonst viel zu viel verpasst. Aber passt schon. Aliens aller Art sind in Wien definitiv richtig. Nicht nur 1985. Auch 2016. Ein Schönbrunn(!) ist diese Stadt für jedermann, der es mal braucht. 
Dieses Wien ist ein Kickstarter des Lebens.
Wie ein rettender Anruf eines verloren geglaubten Freundes. Egal wer hier auf sein Smartphone schaut, er findet mindestens einen Anruf. Wenn nicht, kann er darauf warten. Eine alte bezaubernde Dame wird ihn anrufen. Eine Dame mit Namen, Vienna.
....
....
Eingehender Anruf: "Vienna"



Mittwoch, 19. Oktober 2016

Friends Never Say Goodbye: Steyr


Nachdem ich den gestrigen tristen internationalen Ohne-Bart-Tag dazu genutzt habe lang und ausgedehnt meine Gesichtswolle zu kämmen und zu ölen, fiel mir -vom Regenwetter gesegnet- der Beschluss leicht 3 Tage in mein frischlinghaftes Backpackerleben ein bisschen Ruhe und Erholung zu mischen. 
Wo kann man dies besser als Nahe der Kalkalpen bei einem guten Freund? Dieser gute Freund heißt Thomas und wohnt seit knapp 3 Wochen in Steyr. Mein Namensvetter und ich kennen uns schon viele Jahre. Wir haben gestern Abend bei einer hauseigenen Stieglbierverkostung  mühevoll überlegt seit wann genau und mussten uns eingestehen, dass es wohl mal beim Kartfahren eines gemeinsamen Freundes vor 7 Jahren gewesen sein muss. Wir einigten uns darauf diese zeitliche Ungewissheit und die Datierungsschwierigkeiten als ein gutes Zeichen unserer Freundschaft (und entfernt der Wirkung des Bieres) zu sehen: Dass auch wenn sich einiges im Leben ändert, gewisse Dinge Bestand haben -unabhängig, ob man sich an etwas bis ins Kleinste erinnert oder nicht. Thomas ist sozusagen im Auswandern begriffen, da er gleich um die Ecke einen Job bei einem großen bayrischen Autokonzern erhalten hat, der genau seinen studierten Schwerpunkt der Motorenherstellung anbietet. 
Als ich ihn in Salzburg anschrieb, ob ich eventuell für ein paar Tage bei ihm in seiner neuen Bleibe unterkommen kann, schrieb er prompt und ellenlang zurück: "Klar". Ich gab Reisedauer und -zeit durch und sein "Ok", besiegelte alles. Das fand ich spitze. 
Er sagt immer klar und deutlich, ohne viel Umschweife, was Phase ist. (Da ist ein anderer Thomas anders.) Obwohl er mit dem Einrichten seiner Behausung selbst noch im Tertiär steckt, bereitete ihm dieser Zustand und mein Kommen keinerlei Umstände. Schlaflose Nächte Fehlanzeige. Ganz im Gegenteil! Als er erfuhr, dass ich kommen möchte, hat er extra noch eine pneumatisch-aufpumpbare Matratze organisiert, auf der ich wie ein König schlief. Im Traum war das mein Hovercraft mit dem ich über die Steyr und die wild schäumende Enns heizte. Beide fließen hier während eines meiner nassen Spaziergänge unter dem Schloss Lamberg und der Michaelerkirche sprudelnd an einem vorbei. Die Ströme werden von Bächen und Flussläufen der Kalkalpen gespeist, sodass die Strömung sehr schnell unter den vielen Brückenbögen der schnuckeligen Kleinstadt dahinschießt. Fast so schnell waren wir unterwegs, denn nach dem ersten herzlichen Hallo gab mir Thomas sogleich eine Stadtführung. Zu Hause zurückgekehrt und mit neuen Eindrücken in der Tasche überreichte er mir dann lässig die Schlüssel für sein Heim. Sein Heim, das er sich ab Freitag mit seiner langjährigen Freundin teilen wird, welche noch aus Deutschland anreist, kann sich sehen lassen. Es hat einen Balkon, der größer ist als die Grundfläche meiner alten Wohnung in Westfalen.. Er ist ein umsorgender Gastgeber und ich werde mich den noch verbleibenden Tag wohlfühlen. 
Da Thomas tagsüber arbeitet, beschäftige ich mich selbst: Kein Problem. Ich bin darin erprobt. Das ist das Leben eines Reisenden. Er muss viele Ichs haben und die Zeit mit sich abkönnen, damit es nicht langweilig wird. Ich sinnierte über die Reise, über das, was vor mir liegt und das, was zurück liegt. Ich suchte nach Hostels und informierte mich über die Gegenden, die noch kommen werden. So nutzte ich gestern auch die freie Zeit, um ein Buch zu lesen, gepflegt Musik zu hören und meinen Schmutzwäscheberg zu waschen. Das entsprechende Programm der Waschmaschine zu verwenden war sichtlich angenehmer als alles über sein körpereigenes Waschbrett(!) zu ziehen und per Hand zu trommeln. Am Ende meines schleudernden Kopfschachs winkte mir die Reiselust immer noch fröhlich zu. 
Täglich versuche ich mich in irgendeiner Form für die Bleibe im Reich der Umzugskisten bei Thomas zu revanchieren, obwohl ich es nicht müsste. Schließlich schaffte ich ungelenk ein wenig Ordnung. Solange ich keine wilde Party ohne ihn feiere, ist ihm alles recht, glaube ich. "Wird schon werden", ist Thomas' Motto. Abends machten wir WG-Krams. Da wurde z.B. gekocht! Also das, was Männer unter dem Fremdwort Kochen verstehen. Also es wurde versucht sich diesem Sammelbegriff zu nähern. Beim Essen sind wir beide schmerzfrei und wenig anspruchsvoll. Die gewürzte Alles-rein-was-geht-Pfanne zum Beispiel war der Kracher! Es schmeckte uns beiden gleichermaßen. Als dann 'Friends Never Say Goodbye' von Elton John weinerlich im Radio Oberösterreichs lief, schauten wir uns fragend an und drehten den Schmarn mit einem wissenden Lachen aus. Der neue Elton ärgerte sich danach schwarz und sang nur noch HipHop. Es ist toll sich wortlos zu verstehen. Wir schaufelten unsere Kreation und alles, was geht, in uns hinein. Unsere Köpfe nickten im Basstakt. Lass dir auch den Tag schmecken. Bis zum nächsten Kracher, Lesefreund!



Montag, 17. Oktober 2016

Mit Herzblut gekocht: Graue Linzer Suppe


Nachdem die letzten Reiseziele aufgrund unterschiedlichsten Gründen (z.B. ungebändigte Reiseeuphorie, Sommersonne, Naturflash,...) sehr positiv eingefärbt waren, muss heute mal nichts geschönigt werden. Zu Besuch in einer österreichischen Großstadt, die auch oft dieses Feeling vermittelt. Die etwas andere Liebeserklärung:

Liebe Linzi,

ich möchte für Dich singen. Nur meine ungewisse Liebe für Dich, schnürt mir die Kehle zu. Grau, so grau sind alle Deine Straßen. Grau-trübes Wetter, Wolken überall. Schade dass in Deinem Herzen und auch auf Deinem jungen Haupt viel Grau ist, viel gebaut wird und man immer Bagger-und Baumaschinenlärm vernimmt, der vom Autokrach dumpf abgelöst wird. Deine Städte- und Verkehrsplaner sollten Dich ganz ganz anders behandeln! Bitte richte diesen Theoriebauern aus, die pulsierenden Autotrassen nicht durch Deine innere Altstadt zu kanalisieren! Das tut Deiner zarten Seele weh! Deine Seele, welche doch die drittgrößte des Landes ist. Und vergiss nicht, dass Dir ein farbiges Kleid für Deine Fassade viel öfter als nur an Feiertagen gut steht! Als ich Dich sah, weintest Du oft. Warum? Kränkte ich Dich? Verzeih meine stürmisch Ungeduld! Mein forsches Drängen. Es war nur der Versuch Dir meine Zuneigung zu unterbereiten. Nicht wissend, ob Du sie erwidern tätest?
Ich pflückte Blumen für Dich, Linzi. Sie liegen ausgebreitet vor dir: Mir gefallen Deine Vielzahl an kulturellen Bewohnern, die sich im Volksgarten tummeln, Deine imposanten Kirchenschiffe, an die alle hektisch und gebeugt vorbeilaufen, Dein wunderprächtigster Mariendom (der größte Österreichs), Deine tolle, mehrere Meilen lange und lebendige Promenade mit alten Straßenbahnwagen, die sich wie Würmer durch die Wohnhäuser der Zeit fressen, hin zur schnell fließenden Donau und Deine etwas zu steril wirkenden Altstadtbauten, die sich mit einigen neuen Häuserfassaden sehr beißen. 
Auch wenn Du die schöne blaue Donau hast, die hier nur breit und trüb dahinfließt und an der Johann Strauss damals gerne Walzer tanzen ließ, wirst Du immer im großen Schatten Wiens und Salzburgs wandeln. Bitte, weine nicht! Nicht deswegen! Du weißt, dass es so ist. Das ist zugegeben auch eine schwere Bürde. Aber mach Dir nichts daraus. Sei Du selbst. Dein Hauptplatz zeigt deinen wahren Glanz. Wie das Herzstück, Deine marmorne Dreifaltigkeitssäule, will ich Dich strahlen sehen. Zeig Dein Lächeln doch öfter. 
Du bist schön, aber erst beim zweiten oder dritten Blick. Ich will doch immer ehrlich zu Dir sein. Hatten wir uns dies nicht versprochen? Mein nächstes Treffen mit Dir, wird inniger. Ja, das wird es! Nicht nur für 4 Stunden können wir uns scheu betrachten. Ich bleibe länger und bringe Sonne mit. Abgemacht? Da können wir uns besser kennenlernen. Wirst Du auf mich warten? An unserem Ort?
Pfiati Schatzi!

Der Deine.

P.S. Bitte schmoll nicht, Liebes. Dein Mittagsschnitzel war auch gut. Auch wenn es ein Wiener Schnitzel war. Aber Du brietest es selbst. Das gefiel mir. Nochmaligst der Deine.




Sonntag, 16. Oktober 2016

Von Wanzen und Wahrheiten: Salzburger Land


Die Stadtalm ist gut besucht. Ab Mittagszeit ist bei tollem Wetter reges Treiben, versichern mir geschäftige Mitarbeiter. Heute ist tolles Wetter. T-Shirt-Wetter. Und das im Oktober! Sehr geil! Weshalb schnauzbärtige Mittvierziger ins Schwitzen geraten, kann ich somit lebhaft nachvollziehen. Auch die Dachgeschoss-Kemenate platzt aus allen Nähten. Drei Doppelstockbetten sind gestern und die kommenden Tage ausgebucht, sodass ich für morgen nicht verlängern kann. Ich teile mir den einzigen Raum, den man nicht so nennen möchte und todesmutig über eine viel zu steile und schmale Wendeltreppe erreicht, die bei jedem Schritt knarzt und gefährlich knackt, mit: der langhaarigen Long aus Südkorea, dem Lily-Brandon-Pärchen aus Texas, der verträumten Alissa, ebenfalls aus den Staaten und Familienvater Damian aus Australien. Alissa verließ in der Morgenstunde ihr Bett und legte sich kurzerhand mit ihrer eigenen Isomatte auf den Holzfußboden. Als ich morgens fast über sie stolperte, um die erwachende Stadt zu begutachten, gestand sie mir aufgelöst ihre fesselnde Bettwanzentheorie. Woran sie die Revolution der Wanzenkrieger genau merken würde, wusste sie nicht stichhaltig empirisch zu belegen. Kein Jucken, kein Kratzen, nichts. Sie spüre dies, sagte sie. Ich hoffte, dass sie nicht meine Zweifel spüren konnte. Ich schlief in meinem angeblichen Streichelzoo nämlich wie tot und merkte absolut nichts. Vielleicht lebe ich auch schon nach der Woche in Symbiose mit ihnen. Es war die erste Nacht in der ich einfach 7 Stunden völlig ausklinkte und nichts mitbekam. Trotz der warmen Wände, die den Tag über von der Sonne beheizt wurden und diese nachts langsam abgaben, war es angenehm. Neben Lily ist auch Brandon in der Nacht erwacht und die verbotene Treppe ins Morgultal hinabgestiegen: auf der Suche nach WiFi, das hier oft abbricht und nur funktioniert, wenn man Stoßgebete an den Himmel richtet oder auf dem Klo weilt. Da ist der beste Empfang. Er musste unbedingt als Erster elektronische Geburtstagsgrüße mit einem schlaftrunkenen Selfie-Gesicht seiner selbst an seine kleine Schwester loswerden. Sich dafür die Beine zu brechen, fand ich rührend. Ich mag meine Weltenbummler. Oft geht es mir ähnlich. Aber mir reicht es einmal am Tag Internet zu haben, um meinen Lieben etwas von meiner Reise zu zeigen. Ein Zeichen, dass ich lebe und es mir gut geht, unabhängig ob ich ein Foto von mir oder persönliche Nachrichten schicke. Die Reise ist der Beweis, dass es mich immer noch da draußen gibt. Abseits von daheim, in der Welt zuhause. Oder dass jemand von meinem geklauten Handy aus meinen Blog grandios weiterschreibt.. Nein, manchmal ist es auch für einen selbst gut zu wissen, dass man gerade da ist. Demnach ist diese Smartphone-Online-Geschichte durchaus kritisch zu betrachten.: fesselnd in Anbetracht der technischen Möglichkeiten und von ebendiesen gefesselt! Ein Selbstverkauf seines Lebens an ein unbelebtes  Gerät. Mit offenen Armen in die selbstverschuldete Unmündigkeit rennen. Will man das? Deshalb kann es sein, dass ich auch einige Tage nichts schreibe und das Handy schlichtweg verbanne, dass es stumm verstaubt. Es sei da dennoch davon auszugehen, dass es mir gut geht. Vielleicht sogar besser: dass ich lebe. Aber zurück zu den Dingen, die man vorerst dazu braucht: Nach einem kargen Frühstücksangebot (Brot, Käse, Schinken, Wasser) auf der Alm-Terrasse gings mit meiner halbierten neugewonnenen Reisetruppe (ohne das Zimmerpaar) auf die Festung Hohensalzburg, die über allem thront. Da wir schon auf guter Höhe weilten, hatten wir es nicht weit. Der leichte Anstieg vom Mönchsberg zum 50m höheren Festungsberg war regelrecht genussvoll.
Bergig ist Salzburg ohnegleichen, aber Belohnung verspricht es dafür gleichermaßen. Die Rundumblicke sind existenzfördernd. 
Als ich vorschlug die Salzach zu queren und den Kapuzinerberg zu ersteigen, wurde unsere Gruppe nochmals halbiert. Mit Alissa voran, ging es durch duftenden Wald. Ich erfuhr, dass sie geschätzt 10 x soviele Bäume und Pflanzen mit Namen kannte als ich, sie normalerweise Kunstarchitektur studiert, schon 3 Monate allein auf Achse ist (Urlaubssemester) und ihr träumender Blick sich gern an Naturdingen erfreut. Wir verstanden uns gut und ich vergaß die Wanzenstory. Wie Lowri, welche ich in Lindau kennenlernte, sagte Alissa zwei deutsche Wörter besonders gern: rechts und links. Als sich der Kapuzinerbergweg oft wild gabelte, ließ ich sie immer die Richtung bestimmen, was uns beiden sichtbar Freude bereitete. Diese Zeit -fernab des Städtetrubels- tat uns beiden gut. Sie vertraute mir an, dass es auf langen Reisen oft einsam sein kann. Es ist okay das zuzulassen. Was hilft, ist einen Menschen mal wirklich kennenlernen zu wollen. Nicht nur flüchtig. Sich mal ernsthaft auf den Gegenüber einzulassen, sich zu öffnen, nicht zu mauern. Davon kann man zehren. Lange liefen wir schweigend, ohne dass es unangenehm war. Die andere Alissa, ich und eine ihrer nicht geträumten Wahrheiten. Ich spürte, dass sie Recht hatte.
Zur späten Mittagsstunde fanden wir uns mit dem Rest der Truppe zum Essen ein und schlenderten durch die Altstadt und den Mirabellengarten, von dem wir Alissa nicht mehr wegbekamen. 
Am Ende des Tages saßen Damian und ich bei Cider in einer Bar und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Wir redeten nicht viel, denn wir verstanden uns auch ohne viel Worte. Bei mir gehts weiter nach Osten, er fliegt morgen von München nach Brisbane zurück. Der Rest der Truppe ist schon abgereist. 
Vier neue Gesichter warten nun im Hostel. Oben im Dachgeschoss, ganz am Ende der engen, viel zu steilen Holztreppe, bei der man sich kinderleicht die Knochen brechen kann. Sie knarzt noch für mich einen letzten Abend. Das Geräusch wird mir fehlen, wenn ich verschwunden bin. Alissas Aussage verschwindet so schnell nicht.

Samstag, 15. Oktober 2016

Mozart spüren: Salzburg

Grüß Gott!
Euer Hosteltester vom Dienst funkt für euch die nächsten Tage aus einer weiteren Station im Ex-KaiserINland, die er auf Herz und Nieren prüft: Der Stadtalm in Salzburg. Der Name der urigen Ösi-Herberge ist Programm. Schon die Anreise auf die Stadtalm ist ein rares Erlebnis. Denn auch wenn man glaubt, dass inzwischen alle Orte mit dem Auto erreichbar sind, hat man sich bei der Stadtalm kolossal getäuscht: Hier heißt es Koffer selbst tragen oder versagen! Denn sie ist eine Alm auf den südlichen Berghängen Salzburgs, die inmitten des Naturschutzgebiets Mönchsberg liegt, in dem jegliche Motorfahrzeuge strengstens verboten sind. Vor dem herrschaftlich eingefassten Parkeingang weisen ernst dreinblickende Marmorstatuen und ein amtlicher Schilderwald auf die bevorstehende Plakerei hin. Bequem kann man lauffaul -zwischen der Edelweiss cooking school und der St. Blasiuskirche- auch mit dem Mönchsbergaufzug auf den Steilhang hochschnellen oder eben sportlich zu Fuß. Ich hielt mich nach gestriger Bergetappe für alpin erfahren genug, um mich für letzteres zu entscheiden. Oberschenkeltraining muss schließlich sein, wenn man der Stadt auf die tiefgehende Art auf den Pelz rücken will. Ich schulterte die Kraxe und ging meine gewohnte Pace. Ich zog Touris und verliebte Paare, sozusagen das Nicht-Alpen-Volk,  regelrecht ab, ohne dass ich es darauf angelegt hätte. Ihr Erstaunen zu sehen, war trotzdem genehm. Egal welches Anreiseformat man letztlich erwählt, über mangelndes Erlebnis kann sich jedenfalls keiner beschweren. Fakt ist weiterhin, dass man die Türschwelle des Hauses überschreitend vergeblich schnatternde, kreischende, BRAVO-lesende Teenies und geschwätzige Schwitzer suchen wird, die einen die Zugfahrt zur Hölle gemacht haben und dessen Business-Gezappel man ruhig ausgesessen hat. Hier jodelt Ruhe und Erholung aus jedem Hüttenmeter! Bleibt man hier länger wird man sicher wie der Namensgeber des Berges: zum Mönch. Das Naturfreundehaus (so prangt es am Eingang) wirkt innen etwas rustikal, aber kein Stück aufgesetzt. Einfach 120 Jahre zurück in der Zeit gibt alles dem Herz einen freudigen Hüpfer Teil von diesem Damals zu sein. Die gebrauchten Gusspfannen an den bewusst leicht schäbigen Wänden von denen kleine Holzbalken künstlich die schiefe, rußige Decke halten, lassen nichts an Gemütlichkeit vermissen. Orange-rote Flammen könnten spielend am Holz im vorhandenen steinernen Stubenofen lecken, sodass aufgeregte Schatten über die buckligen Wände huschen würden. Aber draußen ist es sommerlich! Alte Möbel, abgeblätterte Doppelfenster und braun-graue Fotos runden die Sache ab. Wie in Großmutters Stube aus alten Heidi-Filmen. Es riecht nach deftigen Klößen, Gulasch, Rotkraut, Holz und Blumen. Ich merke plötzlich wie viel Hunger ich habe. Nach dem Check-In in Form eines analogen Bleistifts und Zettels (kein PC), die mir von einem gestressten Mittvierziger in Kittelschürze und Schnurrbart gereicht wurden, genehmigte ich mir eine dampfende Portion Österreich und drehte den gesättigten Körper Richtung Panorama und sah mich satt an allem. Nach einer halben Stunde riss ich mich von dem sagenhaften Ausblick aus 470m Höhe los und stillte meinen Durst nach Sonne, fantastischen 20 Grad! und Stadt, indem ich mich auf sie stürzte: volle Gulaschplautze voran durch Gassen, versteckte Winkel, entlang der Salzach, vorbei an Oberleitungsbussen, die sich durch alte Stadttore quetschten und schlenderte über singende Brücken. Überbrücken möchte man die Zeit möglichst nicht, nur bleiben. Leider bleibt die Zeit nicht, wo sie war. Ich weiß nur, dass ich mindestens einen Tag länger als geplant bleiben werde. Diese Stadt ist wie Mozarts Musik: lebendig, großartig und famos.



Freitag, 14. Oktober 2016

LifeSTEIL: Bregenz


Servus Schätzle! Nicht abwägele! Lies was Schönle:
Getrieben vom warmen Föhnwind und da ich mir das Bodenseefeeling noch ein wenig bewahren wollte, machte ich heute einen Tagesausflug nach Bregenz. Um dem dichten Nebel die Chance zu geben sich freiwillig zu verziehen, erkundete ich vorerst diese gediegene Stadt der Ösis; erkletterte den Martinsturm und ließ mich vom Lächeln schöner Menschen und den freundlichsten "Servus", die ich jemals im Leben vernommen habe, durch die Hafenanlagen der Stadt treiben. Ich geh also schon aus Bregenzer-Buab durch. Toll! 
Anschauen sollte der Bodensee-Urlauber außerdem die Morgenvorstellung der Oper Carmen (Nebel?!). Das Ganze unter freiem Himmel! Auf der weltweit beachteten Freilicht- und Seebühne habe ich in der letzten Reihe der Loge Platz gefunden und dem Nebelgeister-Spiel gelauscht. Hören ist ja das neue Erkennen. Erst als die Bühne abgebaut wurde, klatschte ich johlend Beifall und verließ euphorisiert das Geschehen. Völlig benebelt. Aus den geglaubten Schauspielern wurden langsam entspannte Bauarbeiter. Ich realisierte mit einigen Bedauern, dass die Veranstaltungssaison erst kommendes Jahr wieder beginnt.
Bei immernoch feinstem Frühnachmittagsnebel erklomm ich daraufhin den Pfänder bei Bregenz. (Pfänder hat hier nichts mit leeren Pfandflaschen gemein.) Aber jeder muss hier seinen Pfand -unten oder oben am Berg- lassen. Wie ein Nebelhorn schnaufte ich gut 2 Stunden den Berg hinan für eine atemberaubende Fernsicht -wenn sie da gewesen wäre... Ich sah ein irre Nebelmeer und fühlte mich wie Casper David Friedrich himself. 
Man kann natürlich auch lässig in 6 Minuten mittels Pfänderbahn dieses Erlebnis vorziehen und sich hochkutschieren lassen, doch wo ist da der Spaß? Später ließ ich mich lieber in der Gondel abseilen, wobei Hochfahren mir sicher einigen Schweiß erspart hätte. Wanderequipment ist nicht unbedingt Pflicht, aber in der Talstation wird ausdrücklich darauf hingewiesen die Flipflops lieber am Strand zu vergessen und gegen festes Schuhwerk einzutauschen. Mit Wanderboots bewaffnet ging es schön gewunden und vor allem steil bergan. Dass es für mehr direktes Erleben sorgt und gut für die eigene Gesundheit ist, motiviert man sich den gesamten Weg hinauf.
Als ich nach 25 min eine lächelnde Frau an mir vorbeijoggen sah, die mir "Servus" zuhauchte, japste ich anerkennend zurück. 
An besonders üblen Passagen leisten einen eine mitgenommen wirkende Bank und die Jungfrau Maria, Mutter Gottes persönlich, Gesellschaft. Danach ermahnt einen ein hölzernes Wanderzeichen in Rot -in regelmäßigen Abständen plaziert- weiterzustapfen und nicht vom Berg zu fallen. Rot: die Farbe der Achtung. Der Hochachtung in meinem Fall. Ich bin so einiges gewohnt, aber steile Alpenwege sind eine andere Liga und für Nicht-Erprobte durchaus herausfordernd.
Ab und an hört man die Waldpolizei, den Tannenhäher, lamentieren, wenn man sich an einem ebenen Stück Wegs erfreut.
Nach anfänglich mühsamen Schritten gelangt man in den Wandermodus: der Tritt wird fest und gleichmäßig, man vergisst alles, was angeblich wichtig ist um einen herum und saugt die Natur ein. Was zählt bist du, die nächste Wurzel, der nächste Stein, das Geräusch fallenden Wassers, fern bimmelnde Kuhglocken. Hier lebt man den Moment. Worauf es ankommt sind dein Geist, deine Muskeln, dein dampfender Atem und die Natur. Mehr nicht! Einfache Mathematik. Es macht Spaß und Zeit spielt keine Rolle.
Belohnt wird man oben in der Gipfelstube Alpendohle mit einem süffigen Hofgutsbier und einem Alpenburger. Am Ende sogar mit vorbeischauenden Sonnenstrahlen. Dadurch beflügelt,schlug ich den Wildpark-Rundweg ein und stattete Murmeltier, Mufflon und Co einen Besuch ab, bevor ich ein bisschen den Käseweg lief und abschließend hinuntergondelte.
Käseessend liegt mein Körper nun ein letztes Mal im Sofa der Lobby. Ich habe es aufgegeben noch irgendwann mal in irgendeiner Sache völlige Klarheit zu erlangen; gerade bei lächelnden, 'Servus' rufenden Frauen. Aber langsam lichtet sich der Nebel: dieser Tag war 'lifesteil total' und machte Freude. 
Servus sagen macht auch Freude. 
Und es bedeutet auch 'Auf Wiedersehen'. 
Also: Servus!


Donnerstag, 13. Oktober 2016

Soirree am Bodensee: Lindau



Nach einer malerischen Hinfahrt über unbeackerte Felder, durch sattgrüne Bergtäler und eine imposante Landschaft mit Seen und grasenden Milchkühen (nicht mit Milkamotiv) gespickt, habe ich gestern Lindau erreicht. Diese hübsche Stadtinsel ist am Bodensee gelegen, der sich klar und breit über die Weite des mövenumkreischten Himmels erstreckt. Am Morgen ist der flächengrößte See Deutschlands mysteriös und grau, dicke Nebelschwaden verhängen die dahinter liegenden Alpenberge, von denen nur die weißen Spitzen herausragen, um von ihrem Dasein zu künden. Mittags lichtet sich der Dunstvorhang und enthüllt ein spannendes Panorama, das spielend für etliche Fotos herhält. Die Insel-Innenstadt selber hat man relativ zügig erkundet. Es zieht einen dann durch die gepflegten Parkanlagen, an denen schwach der Herbst rüttelt und an idyllischen Rundwegen am Ufersaum entlang bis man erneut am Hafen verweilt, der vom Wahrzeichen Löwendenkmal und dem Leuchtturm eingefasst ist. Überall begleiten einen restaurierte Altbauten und abseits auch einige Baustellen, die aber den Charme der Stadt nicht großartig schmälern.
Leider sind nicht alle schön gelegenen und verträumten Orte für jedermann zugänglich, außer man reicht seinen Yachtclubmitgliedsausweis aus der glänzenden Fahrertür seines Mercedes 850 XL heraus. Wenn man Geld hat, ist man hier richtig. Wenn nicht, dann bleibt man nicht übermäßig lange hier. Wenn hier jemand Geld aus dem Fenster wirft, wird es eher festgetreten als dass es einer nehmen würde. Wer hier wohnt oder Urlaub macht, der hat genug um es auszuhalten und locker entspannen zu können. Ich muss deshalb auch bald wieder hier weg. (Anmerkung des Autors, der nicht genug hat.) In meinem Hostel in Biedermeier-Stil, das ein Museum sein könnte, traf ich auf Dawid. Er kommt aus Polen und hat kürzlich erst seinen Job als studierter Elektrotechniker gekündigt und couchsurft sich durch seine Freundesliste, die jetzt auch etwas größer geworden ist. Er war unzufrieden mit seinem Job und sich selbst und macht nun das, was ihm in dieser Situation bisher immer geholfen hat: reisen. In 2 Wochen geht's zurück nach Warschau, wo er dann mit seinem Vater und Bruder ein Familiengewerbe im Fairtrade-Obst-Gemüsesektor aufbauen möchte. Das ist in Polen noch nicht weit verbreitet. Er fotografiert gern, hat einen tollen Blog und scatet durch Lindau, dass alle Proseccoschlürfer nur so die Köpfe drehen. Er ist Master of Hitchhiking Nr. 1, der zweite auf meiner jungen Reise. Probleme hat er nie gehabt (auch wenn es schwieriger geworden ist), da er wie ein 1,90m Colin Farrell aussieht. Als ich ihn darauf ansprach, stahl er mein Grinsen und widersprach nicht. 
Höhepunkt meines gestrigen Tages war der spontane Besuch in einem Buchkaffee der Stadt, in dem ich die Bekanntschaft mit Daniela und Sophie machen durfte. Zwei zuversichtlichen Frauen, die jeder für sich im Leben angekommen sind, ob sie wollen oder nicht; zweifeln, die Familie über alles lieben, reizvolle Vorstellungen und Wünsche besitzen, einen scharfen Blick für das Jetzt haben, verwerfen, sich gern erinnern und sich neu aufstellen. Zusammengefasst: optimistisch leben mit allen Höhen und Tiefen. Sie kennen sich, weil eine der Damen die Mutter des Ex-Freundes der anderen gewesen ist. Und beide überaus sympathisch sind, weshalb ich mich auch frech einfach an ihren Tisch dazugesetzt habe. Fast 4 Stunden musste  ich mich nicht wegsetzen. Darüber bin ich sehr froh. Sie haben es mir am Ende also verziehen. Da bin ich mir sicher. Ich freue mich auf gemeinsame Leberkäswecken, Kässpätzle in der Zukunft und ein Wiedersehen mit meinen zwei getarnten Touristenscouts - irgendwo, irgendwann. Jeder von ihnen geht jetzt wieder auf seine Reise. Denn wir alle sind Reisende.
Reisende in der Welt des Lebens. 




Mittwoch, 12. Oktober 2016

Zugfahren: Das Morgengrauen

Seelenbahlsen dieses Reiseproviant. Schmeckt lecker. Also der Teig-Kräcker. Ich meine den Keks von Bahlsen. Und es heißt nicht Seelenbahlsen, sondern Seelenbalsam. Denn es tut der Seele gut, wenn man Süßkram isst. Gerade dann, wenn man etwas neben der Spur ist. Ich habe Probleme mich zu erinnern. An das was war. Und an das, was ist. Was ist wahr? Was ist falsch? Ich trockne gerade mein nasses Gesicht mit dem Fleeceärmel meines Pullovers ab. Der Schweiß des Moments klebt mir noch vereinzelt kalt auf Stirn und Nacken. Der Kräcker kann echt was. Ich werde ihn doch Seelenbahlsen nennen. Ich komme wieder zu Kräften. 
Ich musste nämlich rennen. Nun für eine lange Zeit nicht mehr. Ich bin sicher. Sie werden mich nicht finden. Hoffe ich. Sie werden eine Weile brauchen. Wer sind sie? Ich weiß es nicht. Alles sehr aufregend. Auch ich war so aufgeregt, dass ich fast vergessen hätte das Gleis zu wechseln. Am Bahnhof, da wo meine Reise beginnen sollte und fast geendet wäre. Ein gesunder Sprint über 200m ließ mich dann doch noch meinen Zielort pünktlich erreichen. Wahr. Nur etwas anders als geplant. Und übernachten musste ich auch woanders. Auch wahr. 
Gestern war das. Und es fängt heute schon wieder genauso an wie gestern. Ich muss beinahe lachen. Ich lache schon wieder zu lang. Verrückte Sache! Aber der Reise nach...Der Reihe nach. Jede Geschichte hat einen Anfang. Manchmal frage ich mich, ob es wirklich passiert ist. Es ist gut sich das zu fragen. Ich erzähle  mir die Geschichte die letzten Stunden ständig, damit ich weiß, was wahr und was falsch ist. Meine geht so:
Ich mag Zugfahren. An jeder Ecke verlockt es einen. Man möchte von seiner festgefahrenen Trottverfassung entgleisen. Man möchte überall die Notbremse ziehen, um mal auszusteigen. Einfach gucken. Außer vielleicht in Brandenburg, da schließt man lieber die alten Gardinen und fährt durch. Zu langes Zugfahren ist für mich oft auch immer anstrengend gewesen. Besonders, da es zu spannend ist. Gerade wenn man verfolgt wird. Aber wann wird man das schon. Das kann ja nicht sein. Ich meine eine Fahrt im Zug ist spannend, denn man kann Leute unauffällig beobachten. Natürlich völlig wertfrei und unvoreingenommen. Unauffällig beobachten heißt, so unauffällig, dass sie es ohnehin merken müssen. Schließlich machen sie es ja auch.. 
Ich beobachte gern. Jetzt muss ich ständig beobachten. Ich werde eine lange Zeit gut beobachten müssen. Warum sag ich das? Hab ich es gesagt? Ich beobachte gern. Jeden Fahrgast. 
Jeder Fahrgast hängt seinen eigenen Gedanken nach. Jeder hängt seinen Träumen nach. Der halbleere Kaffeebecher wird umkrallt wie ein Rettungsring. Einige Leute schwimmen nur noch im eigenen Leben. Bis ihnen das Wasser zum eingeschnürten Halse steht. Das wars dann. 
Der Rest ist Fremdbestimmung, wo man hinschaut. Längst verschwundener Bohnengeruch weht durchs Schlafzentrum des Zugabteils. 
Erwachende Unerwachte überall in einen Meer von Kaffeebechern. Ihr gebrochener Blick sagt: 'Ist das dein Ernst, dass du heute aufgestanden bist?', 'Passiert das gerade wirklich?' oder 'Was für ein geiler Typ, der mich so unauffällig beobachtet'. Toll sich solche Geschichten zusammenzureimen. 
Genau. Ich reime mir bestimmt nur alles zusammen. Es ist nichts passiert. Es war nichts. 
Auch die Namen der Orte, die an der Zugscheibe auftauchen, sind ein Gedicht und sorgen in Abständen für Unterhaltung. Weltbewegend ziehen sie an einem vorbei: Nirgendwo 1, Wo-bin-ich 2, Ist das eine Stadt 3, Oh-ein-Reh 4...
Man lächelt fast schon als die Stimme des Schaffners, den man auch schon kumpelhaft mit Vornamen kennt, im Lautsprecher verkündet, dass wir aufgrund eines grillenhaften Grashüpfers auf dem Gleis nicht weiterfahren können. Meine Augen weiten sich. Dann verengen sie sich schlagartig. Ich verkrampfe leicht. Man weiß augenblicklich, dass der versicherte Anschlusszug nicht warten wird. Die Träume der schlafenden Kaffeebecherhalter, die man nun wieder augenblicklich beobachtet, werden finster. Verspätung, Gleisstörung, defekte Oberleitung, Über-Spannung, Triebwerkschaden... träumt es sich abenteuerlich auch in mich hinein. Und noch etwas anderes. Etwas, das ich mir nicht erklären möchte. Wahr? Nicht wahr? Wie spannend. Ganz ohne Kaffee. Man möchte lachen. Ich lache über die ganze Situation. 
Nach dem Mord lachte ich auch. Jetzt hab ichs doch gesagt: Mord! Ich wollte es nicht. Es ist einfach so passiert. Aber es kann ja doch nicht sein. Ich lache..weil man es in dieser Situation nur kann! Ich bin auf der Flucht. Bin ich wirklich auf der Flucht? Ich lache los. Ich lache, weil es das Einzige ist, was mir übrig bleibt. 
Der Anschluss wird doch noch erreicht. Ich entspanne mich wieder etwas. Es ist ja doch nichts passiert. Ich reime mir nur etwas zusammen. Wahr!? Man möchte aufspringen. Erneut der Schaffner. Also man wird darüber informiert, ob der Anschluss erreicht wird. Ich weiß, was das heißt und krampfe leicht. Der Zug wartet vielleicht. Also höchstens im darauffolgenden Bahnhof 30km entfernt. Ich möchte versinken, in dieser harten Pritsche auf der man sitzt. Für 5 Stunden lebt man dann auch darauf. Ein unbequemes Leben. Wahr! Eines bis zum Hals im Wasser. Wahr? Aber ein Leben, das ich brauche. Ein anderer vielleicht nicht. Mord! Es kommt mir in den Sinn. Ein blutiges Messer. Drei schnelle Stiche. Aber kein Grund zur Panik! Ein toter Schaffner würde nur die Aufmerksamkeit erregen. Ist nur eine läppische Verspätung. Das ist doch die Art der Aufregung, die man stürmig herbeigesehnt hat. Man muss das Abenteuer im Kleinen greifen. Das sag ich mir. Drei Stiche. Ist auch nichts Großes. Wahr! Bis der Grashüpfer weghüpft, spiele ich derweil 'Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst' mit meinen träumenden Mitfahrern. Teuflischer Spaß. Ich gewinne. Fünfmal! Fünfmal ist die Lösung meine grau-rote Rückenlehne, danach verliert das Spiel überraschend an Fahrt. Nachdem ich auch die trostlose Landschaft eingängig beäugt habe und das so lange, dass ich sie ein Jahr später noch detailgetreu malen könnte, geht's auch schon weiter. Zum Glück. Ich muss nicht mehr zum Schaffner gehen. Ich lache gepresst. Habe ich vorhin etwa an Mord gedacht? Wie töricht. Das blutige Messer verschwindet. Die drei Stiche aus dem das Blut kommt, bleiben. Komischerweise verschwinden sie nicht. Warum verschwinden sie nicht? Ich schwitze leicht. Günni, der Fahrkartenabrissberechtigte, verkündet schnaufend die Rettung des Grashüpfers. So als wäre er höchstselbst daran beteiligt gewesen. Das ist Leidenschaft pur. Also so etwas schafft pures Leiden. Ja, so meinte ich das. Den Mord meinte ich nicht so. Der ist einfach passiert. Aber ist er das? Ist es wahr oder falsch?
Es tut weh, dass die sausende Fahrt bald wieder mit einem außerplanmäßigen Halt beginnt. Irgendein reisefreudiger Trottel hat den Nothalt gezogen. So ein Träumer. Das ist bestimmt so einer, der 40Minuten vor Zugabfahrt am falschen Gleis steht und dann kurz vor knapp mit halbem Haushalt zur richtigen Schienenbahn sprinten muss. 
Ich lache. Ich lache teuflisch. Mordsmäßig. 
Ich lache, einfach weil ichs kann.
Dann klicken die Handschellen. Irgendein grüner Grashüpfer und sein Freund führen mich ab. Was für ein Abenteuer. 
Aber das war gestern. Heute ist heute. Na klar! So ist es. Heute sitze ich ja im Zug. Ich bin sicher. Vorerst. Vor was auch immer. Es kann ja nicht wahr sein, oder? Nicht wahr. Also falsch! Ich lese in der Zeitung. Die Morgenausgabe der Süddeutschen. Meine Augen weiten sich. Es gab einen zweiten Mord innerhalb von zwei Tagen. Einen Doppelmord. Zwei Polizisten. Erstochen. Jeweils drei Stiche. Verwundert esse ich die ganze Packung Kekse. 
Die sind gut. Die können was. Ich muss später unbedingt eine neue Packung kaufen.