Die Stadtalm ist gut besucht. Ab Mittagszeit ist bei tollem Wetter reges Treiben, versichern mir geschäftige Mitarbeiter. Heute ist tolles Wetter. T-Shirt-Wetter. Und das im Oktober! Sehr geil! Weshalb schnauzbärtige Mittvierziger ins Schwitzen geraten, kann ich somit lebhaft nachvollziehen. Auch die Dachgeschoss-Kemenate platzt aus allen Nähten. Drei Doppelstockbetten sind gestern und die kommenden Tage ausgebucht, sodass ich für morgen nicht verlängern kann. Ich teile mir den einzigen Raum, den man nicht so nennen möchte und todesmutig über eine viel zu steile und schmale Wendeltreppe erreicht, die bei jedem Schritt knarzt und gefährlich knackt, mit: der langhaarigen Long aus Südkorea, dem Lily-Brandon-Pärchen aus Texas, der verträumten Alissa, ebenfalls aus den Staaten und Familienvater Damian aus Australien. Alissa verließ in der Morgenstunde ihr Bett und legte sich kurzerhand mit ihrer eigenen Isomatte auf den Holzfußboden. Als ich morgens fast über sie stolperte, um die erwachende Stadt zu begutachten, gestand sie mir aufgelöst ihre fesselnde Bettwanzentheorie. Woran sie die Revolution der Wanzenkrieger genau merken würde, wusste sie nicht stichhaltig empirisch zu belegen. Kein Jucken, kein Kratzen, nichts. Sie spüre dies, sagte sie. Ich hoffte, dass sie nicht meine Zweifel spüren konnte. Ich schlief in meinem angeblichen Streichelzoo nämlich wie tot und merkte absolut nichts. Vielleicht lebe ich auch schon nach der Woche in Symbiose mit ihnen. Es war die erste Nacht in der ich einfach 7 Stunden völlig ausklinkte und nichts mitbekam. Trotz der warmen Wände, die den Tag über von der Sonne beheizt wurden und diese nachts langsam abgaben, war es angenehm. Neben Lily ist auch Brandon in der Nacht erwacht und die verbotene Treppe ins Morgultal hinabgestiegen: auf der Suche nach WiFi, das hier oft abbricht und nur funktioniert, wenn man Stoßgebete an den Himmel richtet oder auf dem Klo weilt. Da ist der beste Empfang. Er musste unbedingt als Erster elektronische Geburtstagsgrüße mit einem schlaftrunkenen Selfie-Gesicht seiner selbst an seine kleine Schwester loswerden. Sich dafür die Beine zu brechen, fand ich rührend. Ich mag meine Weltenbummler. Oft geht es mir ähnlich. Aber mir reicht es einmal am Tag Internet zu haben, um meinen Lieben etwas von meiner Reise zu zeigen. Ein Zeichen, dass ich lebe und es mir gut geht, unabhängig ob ich ein Foto von mir oder persönliche Nachrichten schicke. Die Reise ist der Beweis, dass es mich immer noch da draußen gibt. Abseits von daheim, in der Welt zuhause. Oder dass jemand von meinem geklauten Handy aus meinen Blog grandios weiterschreibt.. Nein, manchmal ist es auch für einen selbst gut zu wissen, dass man gerade da ist. Demnach ist diese Smartphone-Online-Geschichte durchaus kritisch zu betrachten.: fesselnd in Anbetracht der technischen Möglichkeiten und von ebendiesen gefesselt! Ein Selbstverkauf seines Lebens an ein unbelebtes Gerät. Mit offenen Armen in die selbstverschuldete Unmündigkeit rennen. Will man das? Deshalb kann es sein, dass ich auch einige Tage nichts schreibe und das Handy schlichtweg verbanne, dass es stumm verstaubt. Es sei da dennoch davon auszugehen, dass es mir gut geht. Vielleicht sogar besser: dass ich lebe. Aber zurück zu den Dingen, die man vorerst dazu braucht: Nach einem kargen Frühstücksangebot (Brot, Käse, Schinken, Wasser) auf der Alm-Terrasse gings mit meiner halbierten neugewonnenen Reisetruppe (ohne das Zimmerpaar) auf die Festung Hohensalzburg, die über allem thront. Da wir schon auf guter Höhe weilten, hatten wir es nicht weit. Der leichte Anstieg vom Mönchsberg zum 50m höheren Festungsberg war regelrecht genussvoll.
Bergig ist Salzburg ohnegleichen, aber Belohnung verspricht es dafür gleichermaßen. Die Rundumblicke sind existenzfördernd.
Als ich vorschlug die Salzach zu queren und den Kapuzinerberg zu ersteigen, wurde unsere Gruppe nochmals halbiert. Mit Alissa voran, ging es durch duftenden Wald. Ich erfuhr, dass sie geschätzt 10 x soviele Bäume und Pflanzen mit Namen kannte als ich, sie normalerweise Kunstarchitektur studiert, schon 3 Monate allein auf Achse ist (Urlaubssemester) und ihr träumender Blick sich gern an Naturdingen erfreut. Wir verstanden uns gut und ich vergaß die Wanzenstory. Wie Lowri, welche ich in Lindau kennenlernte, sagte Alissa zwei deutsche Wörter besonders gern: rechts und links. Als sich der Kapuzinerbergweg oft wild gabelte, ließ ich sie immer die Richtung bestimmen, was uns beiden sichtbar Freude bereitete. Diese Zeit -fernab des Städtetrubels- tat uns beiden gut. Sie vertraute mir an, dass es auf langen Reisen oft einsam sein kann. Es ist okay das zuzulassen. Was hilft, ist einen Menschen mal wirklich kennenlernen zu wollen. Nicht nur flüchtig. Sich mal ernsthaft auf den Gegenüber einzulassen, sich zu öffnen, nicht zu mauern. Davon kann man zehren. Lange liefen wir schweigend, ohne dass es unangenehm war. Die andere Alissa, ich und eine ihrer nicht geträumten Wahrheiten. Ich spürte, dass sie Recht hatte.
Zur späten Mittagsstunde fanden wir uns mit dem Rest der Truppe zum Essen ein und schlenderten durch die Altstadt und den Mirabellengarten, von dem wir Alissa nicht mehr wegbekamen.
Am Ende des Tages saßen Damian und ich bei Cider in einer Bar und hingen unseren eigenen Gedanken nach. Wir redeten nicht viel, denn wir verstanden uns auch ohne viel Worte. Bei mir gehts weiter nach Osten, er fliegt morgen von München nach Brisbane zurück. Der Rest der Truppe ist schon abgereist.
Vier neue Gesichter warten nun im Hostel. Oben im Dachgeschoss, ganz am Ende der engen, viel zu steilen Holztreppe, bei der man sich kinderleicht die Knochen brechen kann. Sie knarzt noch für mich einen letzten Abend. Das Geräusch wird mir fehlen, wenn ich verschwunden bin. Alissas Aussage verschwindet so schnell nicht.
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