Es regnete ohne Vorwarnung. Leute suchten Flucht vor Nässe und Wind im Inneren des kleinen Bahnhofs. Und sie fanden Dailysoap, W-LAN und einen netten Plausch.
Wir kamen abends in Klagenfurt in einer Schnellkette für "frisches" Essen ins Gespräch, welche den gleichen Namen wie die U-Bahn trägt, die es in Klagenfurt natürlich nicht gibt. Wie sich herausstellte, nutzte sie den schönen, warmen Tag ebenso wie ich um sich im Kreuzbergl-Areal fit zu halten und Sonne zu schlürfen. Von der Zillhöhe aus schaut man nämlich verträumt auf den herrlichen Wörthersee, atmet nebenbei viel Laub- und Nadelduft ein und lässt sich von herabfallenden Blättern faszinieren. Doch während der ansprechenden Wanderung kannten wir uns noch nicht, da sie bereits vormittags mit ihrer Oma eine kleinere Runde am Berg lief, wie sie mir später erzählte. Ich kam erst zum frühen Nachmittag dazu die Stadt und Umland zu erkunden und gab mir mutig den größeren Rundweg. Eigentlich ungeplant, aber meine Füße wollten nicht stillstehen. Es lief sich gut.
Da heute Nationalfeiertag ist, haben keine Läden oder Geschäfte auf. Die Stadt war wie leer gefegt, aber dekorativ rot-weiß beflaggt. Alle Sonnenhungrigen tummelten sich am Wörthersee mit Blick auf Schloss Loretto. Nur der Bahnhof diente allen anderen, die wirklich hungrig waren, als Futtergrippe. Auch Mathilda und mir.
Sie ist Anfang zwanzig, kommt aus einem Dorf bei Graz. Aus heiterem Himmel wurden wir beide Zeuge eines Trennungsgesprächs zwischen einer Mitarbeiterin der U-Bahn-Essenskette, die am Tisch in der Nähe Pause hatte und ihrem Macker, der wirklich einer war. Als er lautstark nach einer Entschuldigung für seine erbärmlichen Brunftrutenausschweife suchte, trafen sich plötzlich Mathildas und meine Blicke und wir rollten simultan mit den Augen. Als die Mitarbeiterin den Macker klasse abservierte, grinsten wir beide in unseren Sandwich hinein. Das reichte um nach dem Verzehr unserer Speise ein Gespräch anzufangen. Mathilda schaute etwas zu lange auf ihr Smartphone ohne wirklich etwas zu tun. Das war das Zeichen, dass sie noch nicht wegwollte.
Sie ist hobbymäßig an Dressurreiten interessiert und pflegt als Nebenjob Pferde, die von ihren ehemaligen Haltern falsch gehalten oder sogar misshandelt wurden sind oder die von Unfällen Schäden davongetragen haben. Sie therapiert also Pferdeseelen. Sie ist der Pferdeflüsterer, könnte man sagen.
Dabei ist sie gerade einmal 165cm groß und muss sich mit teilweise riesen Kaltblut-Pferderassen und störrischen Hengsten abmühen.
Es braucht alles Zeit und viel Vertrauen, sagte sie mir. Die Heilung der Tiere dauere sehr lange und es kann Rückschritte geben. Manchmal werden die Tiere nie mehr wirklich gesund oder verletzen andere Tiere oder Pfleger. Sie selbst hatte auch schon mehrere Reitunfälle, gab sie leichthin zu bekennen. Einmal wurde sie von einem wild gewordenen Pferd geworfen und brach sich kompliziert das Handgelenk. Ein andermal trampelte ein Pferd mit seinen 500kg direkt auf sie drauf und wälzte sich auf ihr. Wie sie ohne Brüche davonkam, wusste keiner der Ärzte plausibel zu begründen. Nur mit ein paar Prellungen und Organstauchungen musste sie zwei Wochen zur Aufsicht ins Krankenhaus. In die Reittherapieschiene ist die schlanke und wirklich hübsche Mathilda aber nur hineingerutscht. Sie reitet selbst seit 15Jahren und betreut seit Kindesbeinen an ein gemietetes Pferd, einen Wallach mit Namen Billy, das sie in jeder freien Zeit besucht. Damals wie heute wird für die Pflege und Betreuung viel von ihrem Taschengeld eingesetzt.
Ihre Sprache ist höchstes Niederösterreichisch, obwohl sie aus Graz kommt, sodass ich wirklich überaus aufmerksam hinhören und so einiges dechiffrieren musste. War mir etwas zu Abenteuer, fragte ich nach. Es passte aber zu ihr.
Sie hat einen Freund, was sie mir ungefähr 8x erzählte, damit ich es auch ja nicht vergessen könnte und die Message klar ist. Frauen sind eben so. Wobei das gar nicht nötig gewesen wäre. Ich wusste seit dem Augenrollen und unserem Sandwichblickkontakt, dass sie vergeben ist. Sowas sehe ich immer gleich.
Sie studiert in Graz Lehramt für Volksschule -vergleichbar mit unserer Grundschule-, hat davor 1 Jahr im Kindergarten gearbeitet und sich dann fürs Studium entschieden. Mathilda besuchte in Klagenfurt ihre Oma und fuhr nach unserem Gespräch per IC-Bus zurück nach Graz. Dort in der Nähe wohne auch ihr Freund, der Medizin studiere, wie sie anschließend wiederholte und den sie kaum sehe. Das wiederholte sie nicht. Aber sie kennen sich lange, seit der 8. Klasse und kriegen das hin: Studium und ihre Beziehung, die schon lange besteht und die man nicht einfach aufgibt. Die gibt man doch nicht auf? Sie schaute mich fragend an. Es brauchte etwas bis ich die Worte fand. Als ich sagte es brauche alles Zeit und Vertrauen, lächelte sie, denn es waren ihre Worte mit denen sie mir vor 20 Minuten ihre Pferdetherapie erklärbar zu machen versuchte.
Dann bedankte sie sich für das Gespräch mit einem Blick, der mehr sagte als Abschiedsworte vermochten und ging zum Bus. Ich ging wenig später auch. In die andere Richtung. Zur Innenstadt. Ich trat in den nur noch leichten Nieselregen hinaus und machte mich auf den Weg zum Hostel. Mit so viel Zeit ich eben brauchen würde und im Vertrauen auf meine neugewonnene Ortskenntnis.
Zeit und Vertrauen. Etwas, das man niemals aufgeben sollte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen