Freitag, 21. Oktober 2016

Von Ampeln und Entscheidungen

Neues aus der Serie "Das Hostelzimmer." Mit der Folge: "Alles beginnt mit einer Verkehrsampel!"
Heute mit Starbesetzung: Nick aus Taiwan, Camille aus Australien und Lorraine -auch aus Australien!  Und das wars schon. Diesmal klares Vier gewinnt im Vierer-Dorm (mit mir). Die rote Verkehrsampel schaltet gleich auf Grün. Achtung, los geht's:

Nick ist Mathematiker vom Dienst und hatte von seinem 15-Stunden-Weltenflug einen Jetlag à la bonne heure, sodass er kurz nach seiner Ankunft die Matratze ausprobierte und fast augenblicklich einschlief. Die kurze Gesprächszeit, die uns blieb, nutzten wir Jungs effektiv. Wir nutzten Sie, um all dasjenige zu erfahren, was wir über einander wissen müssen. Nick ist leise, ein Frühaufsteher, reist in den Ferien immer allein, ist sehr höflich, lacht viel, ist das erste Mal in Wien und bleibt wie ich 4 Tage im Wombats. Ein umgänglicher, unkomplizierter Hostelbuddy. Wir vereinbarten den Getränke-Freigutschein, den wir beim Check-In erhalten haben, morgen in der Lounge (dem hosteleigenen Club im Kellergewölbe) gemeinsam einzulösen. Taiwanesischer Bubble-Tea meets German Bier. So läuft Völkerverständigung. Ich dachte auch noch etwas anderes: Schlimm, dass bei Reisen immer der kürzeste Widerstand zum Bier gesucht wird... 
Kurz nachdem bei Nick die Lider zuklappten, kam Camille herein. Ihre Freundin käme später noch nach. Sie intonierte "my girlfriend" sehr eindeutig, das stellte sich aber später als nicht zweifelsfrei korrekt heraus. Also zumindest beziehungstechnisch. Camille ist nicht mit Lorraine zusammen. Camille hat einen jüngeren(!) Freund, der in Australien weilt und in den Examen der Highschool steckt. Lorraine hat mal den, mal den "Freund" wie sie ganz offen zugab, als sie abends beim Zähneputzen plötzlich neben mir im Bad erschien und ihre Wimpern längte und abenteuerlich bog. Privatsphäre nahm sie wohl auch nicht so genau. Sie malträtierte ihre Wimpern mit einem komischen Werkzeug, das an ein mittelalterliches Folterinstrument erinnerte und ich noch nie gesehen habe. Sie testete gleich nach dem erfolgreichen Gebrauch ihrer Wimpernzange die Hostel-Lounge aus und verschwand. (Auch aus dieser Geschichte) Um 4:30 Uhr in der Früh sollte sie dann ins Bett fallen...Aber die Story dreht sich nicht um Lorraine (auch nicht um Nick), sondern um Lorraines mitgereiste Freundin: Camille. 
Bevor es mit der eigentlichen Geschichte (eine wahre Begebenheit!) losgeht, die ich für unbedingt erzählbar halte, baue ich einen Cliffhanger ein und gebe mehr oder weniger triviale Hintergrundinfos, die aber die spezifische Handlung auffrischen. 
Da ich mittlerweile in jeder meiner Unterkünfte Koalas (Kosename; hier gemeint: Australier) getroffen habe und die gesammelten Eindrücke über diese Personen weitestgehend deckungsgleich waren (weiblich, reisend, jung), darf ich euch das Best of über junge Australier und ihre Reisegründe schonmal vorweg unterbreiten. Los geht's: 
Es startet mit einem kindischen Versprechen in der Schulzeit, dass sich zwei australische Mädels geben. Denn Versprechen sind in der Schule fett angesagt und cool! Ein gemeinsames Geheimnis, das man teilen kann und hütet wie den letzten Kinderriegel in der sonst leeren Schokoladenschachtel. Sie wollen irgendwann einmal zusammen (nach und) durch Europa reisen; glauben aber beide nicht daran dies wirklich machen zu können und durchzuführen. Es ist ja alles irreale Zukunft. Weit weg und wird eh nie eintreten. Aber zwei naive Mädchen schwören es. Sie schwören heimlich auf ihren Traummann und auf ihre eigene glitzernde Jahrtausendhochzeit. Danach besiegeln sie es auf Mädchenart: sie umarmen sich fest und heulen was das Zeug hergibt. Der Pakt ist geschlossen. Europa ist weit weg und das Geld dazu auch (Die Am-Ende-des-Geldes-ist-immer-so-viel-Monat-übrig-Geschichte kennt man). 
Also keine Sorge, dass das Versprechen jemals in die Tat umgesetzt werden wird. Das Highschoolende ist auch noch laaaange hin. 
Doch DANN! Dann ist es doch passiert! Es gibt doch immer einen Zeugen, der mithört oder dem man es doch anvertraut hat. Man muss es durchziehen. Darüber hinaus ist Highschool vorbei. Man muss es jetzt machen. Man hat es sich doch versprochen! Man muss es tun. Kneifen geht nicht. Man tut es. 
Dies ist die lose, allgemeine Rahmenhandlung. Nun wird sie spezifiziert auf mein australisches Zimmerensemble. Folgender Fall:
Die zwei guten Freundinnen (Lorraine und Camille) nahmen nach ihrem Highschoolabschluss allen Mut zusammen und reisten mit Zweifeln im Bauch los. Ab ins Ungewisse. 4 Monate sind sie schon dabei. Beiden gefiel es. Lorraine wird weiter reisen, da sie davon (und von anderen Dingen...) nicht genug bekommt. Camille hingegen kehrt in 2 Wochen zurück. Sie hat schreckliches Heimweh und vermisst ihren Freund. Und macht sich Sorgen um ihre Beziehung. Große Sorgen. Ich weiß nicht, weshalb mir diese Offenbarungen gelingen, aber wenn jemand abends im Bett weint, fragt man doch nach, was los ist, oder? Man fragt nach! Das hättest du doch auch getan! Na klar hättest du das. Es lässt einen nicht kalt. Mich ließ es nicht kalt. Und verkehrt macht man es nur, wenn man so tut als würde man schlafen. So schlafen wie Nick. Nur dass er wirklich schlief! Keinen Vorwurf an ihn oder auch, wenn ihr es nicht getan hättet. Also ich sagte bereits: Nick klinkte sich super aus dieser Heißen-Stuhl-Situation aus und schnarchte froh in sein Kissen. Thomas war nicht ganz so froh. 
Allein mit der Nacht und dem Weinen wollte er irgendwie helfen. Weinen mit Grund ist besser als Weinen ohne Grund. Ich fragte also Camille, was los sei und erfuhr die Dinge, die ihr mittlerweile schon wisst: Beziehungsgeister und Heimweh. Aber eher mehr Beziehung. 
Wir unterhielten uns im gelben Lampenschein der Bettlampe lange über das Gefühl von zu Hause weg zu sein und über Beziehungen. Ich hütete mich davor ihr Ratschläge zu geben und dabei wollte sie ganz dringend welche von mir hören: Ich bin ja schließlich der alte Typ, der studierte Typ und der Lehrer-Typ. Tja, wenn sie wüsste, dass dies alles hier wenig Expertise bedeutet.. Ich ließ ihren inneren Drang nach Mitteilung freien Lauf. Sie erzählte und ich hörte nur zu. Das half ihr glaube ich am meisten. Auch wenn ich ihr die Sorge nicht gänzlich nehmen konnte, dass ihr Freund sie evtl. verlässt, sie betrügen könnte noch dass alles so sein wird wie vorher. Aber sie hat Optionen. Sie hat Möglichkeiten. Möglichkeiten wie sie ihre Sorgen aufklären kann. Dies versuchte ich aus ihr herauszulocken. Dies versuchte sie aus sich selbst hervorzulocken. Ich half nur ein bisschen. Jeder kennt das: Manchmal ist das Leben nicht einfach. Und das gehört dazu. Man sitzt es aus und verzweifelt langsam oder man versucht sich das schwere Leben von der Seele zu reden. Wenn man dies tut, ist es gut, wenn einer da ist, der einem dabei zuhört. Es sollte immer einer da sein, der einem zuhört, wenn man es will. Oftmals fällt es leichter einem Aussenstehenden etwas, was einem wichtig ist,  anzuvertrauen als seinen Liebsten. Doch man sollte nicht vergessen es ab und an seinen Liebsten anzuvertrauen. 
Und mit diesem Anvertrauten sollte man ernsthaft umzugehen versuchen. Es als etwas Ernstes behandeln. Das ist menschlich. 
Wie Wien. Diese große Stadt hat selbst in einem interkulturellen Hostelzimmer gezeigt, dass sie menschlich ist, wenn Menschen sich dazu entscheiden.
Wenn nicht, dann sollte man sich vorerst wenigstens an die Wiener Ampeln halten. Selbst Ampeln haben das Beste des Menschen verinnerlicht. Sie sind Boten Amors und stacheln ganz selbstverständlich zur Zwischenmenschlichkeit an. 
Sei mehr wie die Ampel. Egal ob Grün oder Rot. Gib ein Signal. Gib den Weg frei und reiche eine Hand. Ein Mensch könnte genau diese brauchen, um sicher durch den Verkehr seiner Welt zu kommen.





1 Kommentar:

  1. Sei mehr wie die Ampel! Eine "beinahe" in die Psychologie-Lehrbücher gehörende Weisheit! Wie übrigens viele deiner Gedanken hier...sagt dir die "alte" Frau! 😉

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