Donnerstag, 13. Oktober 2016

Soirree am Bodensee: Lindau



Nach einer malerischen Hinfahrt über unbeackerte Felder, durch sattgrüne Bergtäler und eine imposante Landschaft mit Seen und grasenden Milchkühen (nicht mit Milkamotiv) gespickt, habe ich gestern Lindau erreicht. Diese hübsche Stadtinsel ist am Bodensee gelegen, der sich klar und breit über die Weite des mövenumkreischten Himmels erstreckt. Am Morgen ist der flächengrößte See Deutschlands mysteriös und grau, dicke Nebelschwaden verhängen die dahinter liegenden Alpenberge, von denen nur die weißen Spitzen herausragen, um von ihrem Dasein zu künden. Mittags lichtet sich der Dunstvorhang und enthüllt ein spannendes Panorama, das spielend für etliche Fotos herhält. Die Insel-Innenstadt selber hat man relativ zügig erkundet. Es zieht einen dann durch die gepflegten Parkanlagen, an denen schwach der Herbst rüttelt und an idyllischen Rundwegen am Ufersaum entlang bis man erneut am Hafen verweilt, der vom Wahrzeichen Löwendenkmal und dem Leuchtturm eingefasst ist. Überall begleiten einen restaurierte Altbauten und abseits auch einige Baustellen, die aber den Charme der Stadt nicht großartig schmälern.
Leider sind nicht alle schön gelegenen und verträumten Orte für jedermann zugänglich, außer man reicht seinen Yachtclubmitgliedsausweis aus der glänzenden Fahrertür seines Mercedes 850 XL heraus. Wenn man Geld hat, ist man hier richtig. Wenn nicht, dann bleibt man nicht übermäßig lange hier. Wenn hier jemand Geld aus dem Fenster wirft, wird es eher festgetreten als dass es einer nehmen würde. Wer hier wohnt oder Urlaub macht, der hat genug um es auszuhalten und locker entspannen zu können. Ich muss deshalb auch bald wieder hier weg. (Anmerkung des Autors, der nicht genug hat.) In meinem Hostel in Biedermeier-Stil, das ein Museum sein könnte, traf ich auf Dawid. Er kommt aus Polen und hat kürzlich erst seinen Job als studierter Elektrotechniker gekündigt und couchsurft sich durch seine Freundesliste, die jetzt auch etwas größer geworden ist. Er war unzufrieden mit seinem Job und sich selbst und macht nun das, was ihm in dieser Situation bisher immer geholfen hat: reisen. In 2 Wochen geht's zurück nach Warschau, wo er dann mit seinem Vater und Bruder ein Familiengewerbe im Fairtrade-Obst-Gemüsesektor aufbauen möchte. Das ist in Polen noch nicht weit verbreitet. Er fotografiert gern, hat einen tollen Blog und scatet durch Lindau, dass alle Proseccoschlürfer nur so die Köpfe drehen. Er ist Master of Hitchhiking Nr. 1, der zweite auf meiner jungen Reise. Probleme hat er nie gehabt (auch wenn es schwieriger geworden ist), da er wie ein 1,90m Colin Farrell aussieht. Als ich ihn darauf ansprach, stahl er mein Grinsen und widersprach nicht. 
Höhepunkt meines gestrigen Tages war der spontane Besuch in einem Buchkaffee der Stadt, in dem ich die Bekanntschaft mit Daniela und Sophie machen durfte. Zwei zuversichtlichen Frauen, die jeder für sich im Leben angekommen sind, ob sie wollen oder nicht; zweifeln, die Familie über alles lieben, reizvolle Vorstellungen und Wünsche besitzen, einen scharfen Blick für das Jetzt haben, verwerfen, sich gern erinnern und sich neu aufstellen. Zusammengefasst: optimistisch leben mit allen Höhen und Tiefen. Sie kennen sich, weil eine der Damen die Mutter des Ex-Freundes der anderen gewesen ist. Und beide überaus sympathisch sind, weshalb ich mich auch frech einfach an ihren Tisch dazugesetzt habe. Fast 4 Stunden musste  ich mich nicht wegsetzen. Darüber bin ich sehr froh. Sie haben es mir am Ende also verziehen. Da bin ich mir sicher. Ich freue mich auf gemeinsame Leberkäswecken, Kässpätzle in der Zukunft und ein Wiedersehen mit meinen zwei getarnten Touristenscouts - irgendwo, irgendwann. Jeder von ihnen geht jetzt wieder auf seine Reise. Denn wir alle sind Reisende.
Reisende in der Welt des Lebens. 




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