Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist vielleicht ein Wortungetüm, aber kein Fremdwort. In Italien zumindest schon lange nicht mehr. Den zweiten Arbeitsmarkt gab es auch schon im Jahr 1173 im Bausektor der Pisaer Genossenschaft für Stadtpflege.
Um der Arbeitslosigkeit Herr zu werden, hatte Papst Alexander III eine grandiose Idee. Lasst uns türmen! Nein. Das wars nicht. Moment. Lasst uns einen Turm errichten. Ja, das war es. So ein Babel können wir auch! Ach, noch viel besser! Hauptsache nah an den Weltenrichter heran. Alex griff zum Hörer, rief kurz seinen besten Sandkastenkumpel, Buscheto di Giovanni Giudice, an und dann wars abgemacht. Giovanni bekam den päpstlichen Segen und wurde mit dem Bau beauftragt. 200Jahre seines Lebens sollte ihm dieser kosten und auch so einigen Carrara-Marmor.
Man plante, man nahm es in die öligen Olivenhände und begann das Projekt mit viel Einsatz umzusetzen. Zwischendurch gabs göttliche Pizza. Nein. Es wurden also gut qualifizierte Arbeitskräfte gleichermaßen wie willige Arbeitsame mit dem Prestigebau betraut. (Projektname: Schnurgerader Turm von Pisa. Codename: Lineal) Nur das Auswahlgespräch für die sachkundigen Fachkräfte endete in einer großen Weinverkostung und auf jede Art von qualifikatorischen Nachweisen und amtlichen Dokumenten wurde großzügig verzichtet. Ist doch lästiger Papierkram! Der Umwelt zuliebe ließ man den Aktenwulst sein. Für die Stadt und den Erdkreis sollte alles nach neuesten Umweltstandards ablaufen. Ora et labora, war der Grundgedanke. Es wurden sicherheitshalber nur mündliche Zuversicherungen gemacht und eine Hand schüttelte die andere. Danach wurden die Hände gegenseitig gründlich gewaschen.. Ein neuer Ferrari wechselte den Besitzer, eine Prada-Tasche hier, ein....da. Die Berlusconis, die Martini-Könige, waren damals schon ganz groß im Geschäft. Hauptsache der Turm steht bald. Bald war dann mehrere Steinwürfe und Generation später.
Fest steht: Das passiert, wenn Arbeitskräfte zu Tage schreiten, die den Kopf voller berauschender Weine und Festivitäten haben: Pfusch am Bau vom Allerfeinsten! Frei nach dem Motto 'Nimm die Schippe halb so voll, wenn die Arbeit reichen soll', wurde nur die Hälfte an Mittelaltermörtel für das Fundament verwendet. Der Rest des Budgets wurde großzügig in Spirituosen investiert. In die Kollekte floss da nichts, nur den Rachen hinunter. Als Schmierstoff sozusagen. Damit es läuft.
Für den fehlenden Baustoff wurde dann in einer blitzsauberen Nacht-und-Nebel-Aktion Sand beigemischt, während die Berlusconis eine fette Sause im angrenzenden Poolhaus schmissen. Die nackte Eskalation auf der einen Seite, ein cleverer Geistesblitz, durch Bachus persönlich befördert, auf der anderen. Einer der tapferen Baustoff-Mischlinge stand Schmiere. Der andere sollte das genaue Mischungsverhältnis im Auge behalten. Doch viel zu früh schlief er seelenruhig seinen Rausch aus und sprang durch goldschimmernde Sandstrände, an denen Jungfrauen ihm neueste Weinkreationen mischten... Naja das Ergebnis sieht man ja jetzt: Schieflage. Auf ganzer Linie! Das ist unleugbar. Immerhin ist es überraschend zu was die etwas andere Neigung so in der Lage ist: Die Massen zu begeistern und wie ein Magnet anzuziehen. Es ist das beste, was dieser Stadt passieren konnte. Sagt man. Und es zeigt, dass Dinge, die aus dem Gleichgewicht geraten sind, viel interessanter sind als Konformität. Manchmal ist schief sein also eine ganz gerade Sache. Seine Einzigartigkeit auf den Status-quo zu reduzieren, der gerade durch die Andersartigkeit einiger Einzigartiger lebt, ist wenig einzigartig. Deshalb sind viele Fotos, die man heutzutage auf dem Turm zu Pisa macht, einzigartig. Also sie sind schief! Sie sind schief, weil man es nicht anders hinbekommt. Der einzigartige Gleichgewichtssinn ist hier oben betrunken. Auch weil das Portemonnaie um 18€ erleichtert wurden ist. Sehr komisch. Jeder Besucher läuft hier sehr unrund und guckt schief auf Pisa.
Wesentlich ist: Leider wird diese Stadt vorschnell auf ihren 55m-Turm reduziert. Mich sprachen 3 Leute an, die den Weg und die genau benötigte Zeit zur Sehenswürdigkeit wissen wollten. Man sah ihnen an, dass sie nur wegen dieser Attraktion an diesem Bahnhof ausgestiegen sind. Danach schossen sie -keines Blickes für das Kleinstadtambiente- davon. Bitte tut das nicht! Pisa ist einladend. Ich wollte es auch erst nicht glauben, denn ich wurde mit etlichen gegenteiligen Ansichten gefüttert. Es hat mehr in petto als den Sturm auf den Turm. Man muss sich nur die Zeit nehmen genauer hinzuschauen und Teil von diesem Ganzen zu werden. Schnapp dir ein Panini im Lachs-Mozzarella-Pomodoro-Style und einen gepressten Succi di frutta und pflaume dich in den Botanischen Garten.
Wenn es dir dann reicht, du genug gesehen hast und deine emotionale Lage den Zustand besitzt wie der hiesige 14-Tonnen-Turm, fahr zur Küste nach Livorno. Schaue lange aufs Tyrrhenische Meer. Atme ein und atme aus. Das kannst du auch mehrmals machen. Solltest du sogar. Ein bisschen wie Klein-Venetien dort. Danach hast du keine Probleme mehr dir einzugestehen wie einzigartig gerade das Leben ist. Nimm es leicht, auch wenn es manchmal schief ist. Wenn dich das stört, rücke es ab und an mal gerade. Du musst nur daran arbeiten.
Ihr seht, ich arbeite auch im Urlaub.
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