Der Hafenkomplex mit Sitz der Fährgesellschaft LibertyLines schien verlassen. Keine Menschenseele weit und breit. Auf ganzer Linie Freiheit! Ein großer leerer Raum ist hinter schmutzigen Fensterscheiben erkennbar. Nur ein kleines handschriftliches Blatt Papier kündete bei näherer Ankunft vom offenen Ticket-Schalter, der sich hinter dem leeren Gebäude befindet und der sehr geräumig und überraschend groß ist. Diesen betritt man durch zwei langsam öffnende Automatiktüren und eine schummerige Vorhalle. Hier ist alles modern und sehr sauber. Die geschliffenen Granitplatten unter einem glänzen. Mit jedem zaghaften Schritt gibt es ein Tok, das durch die Stille hallt. Eine ältere, etwas kurpulentere Frau wartete hinter jedem der drei Schalter. Eine mit Dutt, die andere mit hochgesteckten Haaren, die dritte im Bubikopfschnitt. Mit meinem Baukasten Italienisch erhielt ich wortlos eine Karte nach Messina. Den Preis zeigte mir Senora Dutt nur auf der Karte ohne die Lippen zu bewegen. Ich bezahlte artig die 3€ für meine Überfahrt. Wie ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, sollte es beinahe meine letzte Überfahrt werden. Die weiße Schiffsreling sollte das Letzte sein, was ich von der schönen Erde sehen sollte.
Nach meinem Ticketkauf wendete sich die schweigsame Dutt-Dame ihren Zwillingen und Gleichgesinnten zu, goss sich eine Tasse Kaffee ein und schnatterte los. Ich verließ den Ort, wo ich meinen Fährmann im Voraus bezahlte..Und setzte mich bis ich an Bord konnte auf den Pier in die Sonne.
Was macht man im Notfall, wenn das Schiff sinkt? Genau Rettungweste anziehen und an Deck spazieren.
Wie der Ernstfall aussieht, konnte ich sogar live miterleben. Das ist kein Scherz! Die Überfahrt dauerte 35 Minuten, die vollständige Evakuierung bis fast ins Rettungsboot 8. Es kam wirklich überraschend und es war eine echte Übung, unangekündigt. Mit krasser Alarmsirene. Ein bisschen Panik war dabei. Auch bei mir. Aber die ernsten Blicke der Crew ließen mich die Instruktionen des zu Beginn gesehenen Videos penibel ausführen. Ein Film lief ab, dem ich konzentriert und mechanisch folgte: Weste unter dem Sitz hervorziehen, umschnallen, festzurren, in den Gang treten, langsam zur Decktür begeben. Nach der sitzenden Weste griff ich noch fix nach meinem Hab und Gut. Auch bei Not lasse ich meine Kamera und meine zweite Memorycard nicht kampflos im azurblauen Wasser versinken. Als ich mich bückte, um auch noch schnell -und gegen alle Richtlinien und Verstand- mein Handy aus der Jacke zu fischen, erhaschte ich beim Vorbeugen einen aufschlussreichen Blick. Die Szenerie war Erleichterung. Ganz vorn im Schiffsraum schmunzelte kurz ein junger Mitarbeiter als er die panischen Versuche der Fahrgäste begutachtete die Rettungsweste richtig herum anzuziehen, solange bis er helfend einschritt. Ich war erleichtert. Nun wusste ich, dass es nur eine Übung ist und entspannte mich sichtlich. Ich nutzte die Zeit unter den italienischen Anweisungen ein Selfie zu knipsen, vielleicht mein letztes auf Erden. Die Deutschen sind ja schnell und gründlich, da blieb für die wirklich wichtigen Dinge noch Zeit.
Nach der Auflösung, dem Durchatmen, den Ich-habs-doch-gewusst einiger Fahrgäste, kam das Ende der Übung. Es gab lange Applaus der Crew, dreimal "grazie per la collaborazione" und ein gratis Wasser! Welch Ironie. Vermutlich dachte nur ich daran wie makaber das ist. Wir wären fast darin ertrunken! Aber was rausgeschwitzt wurde, muss schließlich wieder hineingewirtschaftet werden. Alles gut durchdacht.
In Messina kann man den Schreck verdauen. Nicht sehr spektakulär. Was ich von einer Stunde Aufenthalt in Bahnhofsnähe eben sagen konnte. Viele Häuserfassaden sind mit Bildern und Graffitikunstwerken bemalt. Keine Schmierereien. Es wirkte sauber. Es war auch wenig los. Man merkte, dass man auf einer Insel ist. Obwohl sie doch recht groß ist. Alles lief hier ruhiger, langsamer. Der Verkehr, die Menschen, alles. Auch der Schaffner sprach überhaupt nicht! Wahrscheinlich ist er mit den Damen der Fährgesellschaft über drei Ecken verwandt...
Die Route bis nach Catania sagte dafür umso mehr aus: Tolle Zugstrecke direkt an der Küste entlang. Mal schneller, mal langsamer. Eine Seite Mittelmeer, andere Seite nebelverhangene, grüne Felswände des Peloritani Gebirges, die etwas von Urwaldatmosphäre vermitteln. Direkt neben dem Zug, auf der vom Mittelmeer abgewandten Seite, ein Meer aus Orangen, Limonen und Kakteen. Dahinter hoher Fels mit hohen Büschen und Sträuchern bewachsen. Aller 10 Minuten öffnet sich die Landschaft und es tauchen abwechselnd bunte Häuser, Brücken, Strommasten und Baustellen auf.
Dann fährt man in Catania ein. Eine Stadt, die und das klingt jetzt überheblich auf den ersten Blick nichts Besonderes ist. Es gibt 2 tolle Plätze, ein gut platziertes Castello, einen Hafen, die Ruinen eines imperialen Amphitheaters und einen zauberhaften Campus. Sonst 3 lange, gut befahrene Shopping-Straßenzüge.
Dazu lächelt hier niemand, was erdrückend ist. Vielleicht liegt meine Entschiedenheit am Reiseblues, den tollen Städten, die ich bisher sehen durfte oder einfach daran, dass ich mit dieser Stadt nicht richtig warm werde. Kennt ihr das? Das ist natürlich keine stichhaltige Entschuldigung, aber so richtig wohl fühle ich mich hier nicht. Immer irgendwie unter Beobachtung. Seltsam. Ich bin froh als Italiener durchzugehen. Bart und Sonnenbrille sind meine Tarnung, die ich selten -höchstens zur Hälfte- ablege. Das bewahrte mich aber nicht davor den Tag darauf in Polizeikontrolle zu geraten. Sie checkten sehr genau meine Person aus, konnten aber nichts Verdächtiges an meiner Reiseroute, die sie anhand meines Persos bis ins Kleinste polizeilich nachverfolgten, erkennen. Verflucht gläserne Welt! CIS Sicily! Zum Abschluss lächelte wenigstens die Polizistin und sagte "Grazie". Dann gabs mein Ausweis wieder.
Ich versuche nun was Nettes über Catania zu sagen: Nett sind die vielen Werkstätten, Wäschereien, Schuhmacher, Strumpfläden und "Kfz Betriebe," die in einer 20 Quadratmeter Höhle eingerichtet wurden, wo wundersam eine Hebebühne, 3 Regale und 7 Roller drin stehen. Auch nett sind die kleinen Lebensmittelläden in den Nebenstraßen; der Transport von kleineren Dingen per Handseilwinde an der Fensterfront hinauf bis zum dritten Stock; Fiat Puntos mit nur!!! 6 Leuten drin; die kleinen 8-jährigen Straßenjungen, die dann wenn sie glauben niemand schaut hin, verboten auf Denkmäler klettern; die Tabaccherias und Zigarrenopis. Alles wie eben Italien ist. Bei Nacht gefällt mir die Stadt sogar (besser). Das soll was heißen.
Der Kontrast von allem ist hier stärker. Aber Erholung mochte dennoch nicht richtig aufkommen. Deshalb klammere ich mich so daran.
Nett ist auch Haschim, ein Italiener mit indischen Wurzeln, der hier im Hostel hinterm Check-in waltet.
Er sagte immer: "Wir schaffen das". Was auch immer. Egal was, auch wenn es unmöglich ist. Mit ungebremster Euphorie und Optimismus. Er war nur am merkeln. Auch wenn zum 10. Mal das Licht ausging und kein Wasserhahn flüssig funktionierte. Eingeseift in der Dusche sah es dann für manch einen ganz schön düster aus. Er machte schlechte Witze über die er sich selbst königlich auf die Schenkel klopfte, was ich klasse fand. Der Erste, der in Catania lacht und es so meint. Die Zimmer sind absolut top mit klasse Ausblick. Dazu gibt es das bisher allerbeste Frühstücksangebot meiner gesamten Reise. Die Badezimmer sind naja.. antiquiert, selbst wenn das Licht und Wasser mal gehen sollten. Dafür eine hammer Dachterrasse und Aufenthaltsraum. Ich bin eh nur paar Nächte hier und habe sowieso anderes vor als die Stadt länger als nötig zu durchkämmen. Syrakus, Ätna und Taormina waren Michaels Empfehlungen für die Ostküste Siziliens. Sachen zum anschauen. Am besten mit frischer Kraft und bei Tag.
Plötzlich geht das Licht meiner Bettlampe aus. Kurz darauf höre ich jemanden pfeifend zum Stromkasten eilen, um die Sicherung umzulegen. Haschim. Zum 11. Mal heute. Ich kann nicht anders als in mein Kopfkissen zu grinsen. Zum ersten Mal heute. In dieser Stadt mit der es mir schwer fällt warm zu werden.
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