Mittwoch, 9. November 2016

Unterm Strich


Es ist Zeit für ein Zwischenfazit. Schon längst überfällig. Ich wollte es schon lange machen, aber wie das so ist, schiebt man es auf und wartet auf den passenden Augenblick. Man wartet auf den Augenblick, der niemals kommt oder dem man nach Captain Jack Sparrow Manier lächelnd zuwinkt, wenn er vorbeizieht. 
Schließlich ist bereits zweite Halbzeit meiner Südlandtour. Meine Reise hat mir in diesem Stadium schon viel gebracht: Alles kann, nichts muss. Tolles Motto so nebenbei! Mein Plan steht und die Rückreise auch. Ich werde nun von Rom aus an der Küste weiter Richtung Süden ziehen und letztlich den Zipfel des Landes betreten: Sizilien. Ab durchs Land der 'Ndrangheta und meinen eigenen Spaziergang nach Syrakus antreten. Auf den Spuren von Seume..
Anschließend geht es per spanisch-sprechender Billig-Airline nochmal in den Norden Italiens und von da aus ins kalte Paris. Die gesungene Sprache zu hören, mit Froschschenkelspeiser zu sprechen und dieses Chique zu erleben, möchte ich mir nicht entgehen lassen. Nach der Hauptstadt zwei, drei Tage Bretagne hinterher, dann gehts erst einmal Heim. Ich müsste Ende November wieder die Grenze zu Deutschland überschreiten. 
Ich habe gemerkt, dass mir diese Art des Reisens zunehmend gefällt und mein kleiner Ausflug keine Eintagsfliege gewesen sein wird. Eine Verlängerung könnte ich mir für diese Jahreszeit gut in Spanien vorstellen oder mal richtig Winter in Nordnorwegen. Allerdings bin ich gebunden an meine Reise-/Ausweisdokumente, die Ende 11 das Zeitliche segnen. Letzten Endes ist das voll in Ordnung. Meine Familie, Freunde wiederzusehen und die Weihnachtszeit zu Hause zu sein, freut mich überaus. Die Gelegenheit über Silvester oder Januar nochmal loszuziehen, neben all den Dingen, die dann jobtechnisch neu zu regeln sein werden, besteht weiterhin. 
Loszuziehen ist einfach. Man muss nur eine halbe Stunde den Rucksack packen, dann loslaufen und in einen Zug setzen. Ganz einfach. Ausflüchte gibt es genug, doch nur Machen ist die Flucht vom Genug. Es gibt immer einen Weg. Die Steine sind darauf bald weggeräumt, die Zeit hilft dabei. 
Ihr kennt das. Warum reist man? (Das sage ich euch ausführlich in einem anderen Beitrag). Kurzfassung: Man reist spontan oder weil man einen Plan hat. Man nimmt sich auf Reisen etwas vor und wird überrascht sein, dass man dafür keine Zeit findet. Ich weiß immer noch nicht wo ich im neuen Jahr sein und arbeiten werde, aber es wird sich etwas ergeben mit dem ich zufrieden sein werde. Auch auf meiner Reise hat sich etwas ergeben und ich werde es ernsthaft in Betracht ziehen. Nach einem Monat im Süden Europas hat man Zeit für sich und Gelegenheit neue Dinge auszuprobieren. Sie passieren einfach. Es fällt auswärts in neuer Umgebung leichter diese Dinge einfach zu machen. Da man im neuen Ringsherum bestehen und mit den Gegebenheiten klarkommen muss. Eigene Routinen und schlummernde Abhängigkeiten werden einen hier auffällig bewusst. Man wird jeden neuen Tag nett daran erinnert diese anzupassen oder ganz aufzugeben. Das Neue und andere ist das, was bleibt. Wie lange, entscheidest du. Problematisch wird es, wenn dich nach einer Reise deine altbekannte Welt wieder schluckt und der Alltag umspült. Ständig stumpf heranbrandend. Dann ist Wegsein plötzlich ganz weit weg. Die neugewonnenen Erfahrungen bald dahin, verblasst. Denn natürlich kann man nicht nur ständig weg sein. Dies bedeutet eine teilweise Auflösung im Zeitenstrudel, die komplizierte Loslösung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, ein großer Aufwand und der Forderung einer geldlichen Unabhängigkeit nachkommen zu können. Wer nur und ständig weg ist, verliert sich und andere. Früher oder später. Vielleicht! Vielleicht auch nicht. Ich persönlich finde, es ist insgesamt wichtig irgendwo verwurzelt zu sein, anzukommen und dies auch ab und an mal zu spüren. Die Welt und der Alltag stellen täglich Ansprüche an einen, denen wir letztlich genügen müssen. Die Freiräume sehen wir selten genau. Wir leuchten sie selten genau aus. Beide Seiten sind auch im Ausland zutreffend. Jede Aufregung weicht der Ernüchterung. Auch auf Reisen. Denn nach jeder Zeit des Neuen und Aufregenden kehrt in die Andersartigkeit das Gewohnte ein. Das Leben und sein Rhythmus packt uns oder reißt uns mit. Stellt Ansprüche an uns und andere, ob wir wollen oder nicht. Wir werden um eine Haltung gebeten mit diesen umzugehen. Denn wir müssen damit umgehen, um nicht unterzugehen. Aber dies ist an sich eine tolle Sache! Wir können aktiv sein, das Leben mit Höhen und Tiefen spüren. Schade ist nur Folgendes: Diese an uns gestellten oder selbst auferlegten Forderungen werden von uns oft als hart wahrgenommen und wirken auf uns wie unüberwindbare, unverrückbare Hindernisse und stehen konträr zu unseren Plänen persönlicher  Lebensgestaltung. Wir fühlen uns machtlos, deplatziert, eine Marionette, die am unsichtbaren Faden durch das trostlose, gehetzte Leben gezogen wird. So lange bis man selbst der Gehetzte wird. Dies kann durchaus vorkommen. Und ist sehr natürlich. Wichtig ist hierbei seinen Fokus zu finden, der den Blick auf dieses anscheinend fremdbestimmte Dasein wandelt. Man ist doch höchstselbst der Marionettenspieler, der sein Ich da durchziehen lassen möchte!!! Spiel doch einfach ein anderes Theaterstück, das dir besser gefällt oder variiere alteingesessene Stücke, peppe sie auf oder runde sie ab. Spiele doch konzentriert nur einen Akt durch und hebe dir die Probe und Aufführung des Zweiten auf. Das ist dein Leben. Dein Leben in dem du Regisseur, Schauspieler, Souffleuse, Bühnenarbeiter und Reinigungfachkraft in einem bist. Du muss nicht immer nur Zuschauer sein oder den Dreck wegwischen. Du solltest also einen nennenswerten Anteil daran haben. Denn den hast du. Zweifelsohne! Jeden Tag, wenn dein Wecker klingelt oder du dich durch den Tag snoozt. Jedes Mal wenn du aufsteht, wählst du dich und diesen Tag. Deinen Tag. Wenn du das verdrängt hast, gestehe es dir doch ein. Erinner dich daran. Du hast Möglichkeiten. Das ist ein großes Glück : 
Mach mindestens einmal in der Woche etwas völlig Neues! Kauf dir eine andere als deine Lieblings-Teesorte, brühe sie nach allen Regeln der Kunst auf und zelebriere dieses Ereignis. Mach ein lästiges Sudoku oder Kreuzworträtsel zu Ende bis dir der Kopf raucht. Rauche außerhalb des gekennzeichneten gelben Quadrats am Bahnhof. Schenke einem Straßenkünstler deine Aufmerksamkeit, indem du sein Tun beobachtest, nicht nur flüchtig im Vorbeigehen. Schaue genau hin. Hör dir Livemusik an und schmeiß was in den Hut, wenn es dir gefällt. Das ist spotify live. Schreibe einem guten Freund eine Postkarte oder einen Brief, keine WhatsApp-Nachricht. Gib einer Frau, die du interessant findest und kennenlernen willst beim Abschied lieber deine Nummer als sie bei Facebook zu adden. Zeige ihr, dass sie für dich etwas besonders ist, kein Freund unter Hunderten. Streiche die Butter anstatt sie zu schneiden. Lächel in der U-Bahn jemanden an und schaue nicht weg oder halte den Kopf nicht gesenkt auf den Boden oder in die Leere. Nimm einen Stadtplan zur Hand und navigiere dich nur mithilfe dieses durch neue Orte, kein Google Maps oder Handy erlaubt! Wenn du völlig die Orientierung verloren hast, frage doch einen realen Mitmenschen. Fange mit jemanden an der Haltestelle ein Gespräch an und frage ihn ernsthaft wie es ihm geht. Du wirst überrascht sein. Sag nicht immer gleich im Kopf nein, sag mindestens jedes zweite Mal JA! Iss warm eingepackt draußen dein Abendbrot, nicht in der Wohnung. Halte Stille aus und höre hin. Trau dich: Sing dein Lieblingssong laut mit, egal ob es schief klingt. Steh doch einmal früh auf, trete ans offene Fenster, atme ein und aus, bleibe 5min davor stehen und beobachte das, was du siehst. Begrüße danach den Morgen. Es ist nichts zu blöd! Geh doch mal mit einem anderen aufgetragenen Lippenstift aus dem Haus und beobachte die Wirkung. Iss eine Eistüte im Winter. Fasse ein besonderes Erlebnis, das dich glücklich gemacht hat, in Worte. Sammel sie. Tritt vor den Spiegel und sage dir dass du wunderschön bist. Koche doch mal selbst ein Essen mit deinen Freunden, anstatt essen zu gehen... 
Ich bin sicher, dass ihr bestimmt viel kreativer seid und euch noch ganz tolle Dinge einfallen. Kleine Dinge, die ganz groß sind. 
Selbstverständlich muss man letztlich sehen, wo man in der Welt bleibt; das zu finden wofür man jeden Tag aufsteht und jeden Tag für sich reisen kann. Jeden Tag reisen und ankommen. Das mag altmodisch klingen. Ist aber immer wieder ganz aktuell und gleichsam ganz schwer. Darüber hinaus auch noch erfüllend. Es ist eine Aufgabe, die keine universelle Lösung kennt. Nur du kannst sie finden.
Jetzt! Oder später! Immer wieder neu!
Unterm Strich ist es das, was zählt. 


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