Dienstag, 22. November 2016

Keuchen ist das neue Durchatmen: Ätna



Man macht verrückte Sachen. Manchmal. Immer öfter. Also es soll durchaus vorkommen. Ohne viele Gedankenspiele zuzulassen, waren wir ein wenig verrückt und gingen an die Besteigung des Ätna. 
Wir das sind Philipp und ich. Philipp lernte ich im Hostel in Catania kennen. Er macht eine Woche Auszeit vom Bachelordasein (als Volkskundler- und Kulturwissenschaftler) in Sizilien nebst Malta. Billigfliegern sei Dank kann man die Uni auf Abstand halten. Er kommt aus dem thüringischen Nordhausen und ist ein echter Dude. Wir sind auf einer Wellenlänge. Kerle aus dem Osten und aus einer Generation. Lässig, scharfsinnig und unkompliziert. Derbe hammer Homies um die jugendsprachliche Bezeichnung zu benutzen und damit unsere tighte Freshness zu betonen. Auch wenn wir ab morgen getrennte Wege gehen, da ich nach Genua aufbreche, bin ich mir sicher, dass wir uns in naher Zukunft in Dresden wiedersehen werden. Tags zuvor tingelten Philipp und ich bereits gemeinsam durch Syrakus und verstanden uns bestens. Syrakus ist ein Ort wo Götter vor Freude und in Anbetracht überwältigender Schönheit weinen würden. Sicher auch der Grund weshalb uns gestern ab und an sintflutartige Regenfälle heimsuchten.. Trotzdem schön! Die schöne Altstadt bzw. das historische Zentrum Syrakus' ist auf eine Halbinsel (Ortigia) gepresst, die man per Überquerung zweier Brücken erkunden kann. Bei Abwesenheit von Regen und in der Nebensaison auch etwas länger. Sehenswert ist vor allem das...
Aber zurück zum Höhepunkt also zum Gipfel der Geschichte. Es geht ja hier um den Ätna. Ich muss Prioritäten setzen! Mount Etna: Das 3350m ganz schön hoch sind, war uns so wirklich erst bewusst als wir den Berg 7:45Uhr vom Domplatz Catanias aus am blauen Himmel emporragen sahen. Zum allerersten Mal seit Tagen gut sichtbar. Nur seine weiße Spitze versteckte sich im Nebel und hinter dunklen Wolken. Die Anreise dauerte gute 1,5 Stunden, in denen sich der einzige Linienbus Serpentinen um Serpentinen hochschraubte, um uns auf 1900m auf den Boden der Tatsachen auszuspucken. Das Ding ist massig, riesig. Alle Insassen glotzten auf längst erkaltete Lavaströme und endlos scheinende Felder von Vulkangesteinen. Fotoapparate klickten bei einigen Fahrgästen im Dauerton. Videofunktion wird unterschiedlich interpretiert...und  manchmal auch unterschätzt. Naja ganz schnell waren definitiv die angenehmen 19Grad der Stadt vergessen und eilig wurde alles angezogen was mitgebracht wurde. Manch einer wurde in seinen kurzen Hosen zum Stalagmiten. 7Grad Celsius und ein schneidender Wind ließ manch Abenteurer bereits am Startpunkt, Refugio Sapienza, wanken. Es ist eben nicht mehr Sommer, sondern November.
Wenn man noch krasser drauf ist, kann man von Nicolosi aus auch sportlich per Fahrrad die Straßen zur Talstation hochradeln. Da frage ich mich, ob man das noch Sport und radeln nennen kann. Ist wohl ein mordsmäßiger Spaß...Also Genuss kann das nicht sein 1,5h nur bergauf zu keuchen und auf die nächsten Kurven und den kommenden Anstieg zu warten. Außer Waden wie Baumstämme, die man dafür braucht, hat man 10kg verloren und einen Asthmaanfall hinter sich. Aber die gewählte Anreise und der Grad der Aventüre obliegt ja jedem selbst. Also von der Talstation zu der einem der Linienbus oder der private Pkw bringt, gibt es mehrere Optionen dem Gipfel bzw. dem brodelnden Krater näher zu kommen. Der erste und einzige sinnvolle Schritt ist ein tiefer Griff in die Geldbörse. Zunächst mit der Seilbahn geht es für 30€!!! weiter hinauf zur Bergstation La Montagnola, die sich auf einer Höhe von 2.504 m befindet. Ein Schnäppchen (*heul*). Die meisten Touristen laufen wie geschildert zielstrebig auf die Seilbahnstation zu. Eine Berg- und Talfahrt kostet zwar ein halbes Monatsgehalt und ist deutlich überteuert, aber anderenfalls keucht man 2-3 Stunden anstrengende Aschebahnen hinauf. Es ist ein extrem steiler Weg. Nichts ist befestigt, nichts ausgebaut. Man geht einen Meter und rutscht zwei zurück. Danach zieht man den schmerzenden Fuß aus 20cm feinem Lavakies. Kalt peinigt einen der Wind. Dazu sieht man die uralten, klapprigen Gondeln über einen mühelos vorbeischweben. Wenn das keine Motivation ist... Es gibt auch Leute, die spähen aus der zugigen Kabine, grinsen und schießen Fotos von verzweifelten Wanderern. Das ist dann große Motivation... 
Also wir nahmen den Lift! An der Kasse stellte ein Monitor, der das Bild einer Livecam der Bergstation zeigte, alles klar. Wobei das Bild alles andere als klar war.  Es herrschte Schnee und kaum Sicht. Auch der Mann hinter der Kasse deutete vielsagend auf den Bildschirm. Wir nickten seinen fragend-skeptischen Blick ab und fanden uns 12 Minuten später und 600m höher in der halben Arktis wieder. Mein erster Schnee dieses Jahr und dann ausgerechnet in Sizilien. Wer hätte das gedacht. Und da es auch keiner glaubt, werden Beweisfotos geknipst bis die Hände kalt werden. Dann werden Handschuhe übergestülpt und wir laufen in den Nebel immer weiter hinauf. So weit wie wir eben können und es ungefährlich ist. Das ist unser Ziel. Einfach mal drauflos laufen. Mal sehen. Den Berg spüren.
Die meisten Besucher gehen nicht zu Fuß weiter. Auf einer Höhe von 2.500 m steigen sie für circa erneut 30€ auf einen Geländewagen oder Schneejeep um und lassen sich auf eine Höhe von 2.900m bringen, wo die "Piste" endet, ebenso die gebuchten Touren mit Geländewagen und Jeeps. Das Ende der Piste verschiebt sich mit der Wetterlage. Sieht im November aus wie ein Wendekreis, von Schnee umsäumt. Dorthin gibts aber nur einen Weg. Keine Schutzhütten, Imbisse oder so etwas. Nur Berg und kleinere Vulkane, die 2001 und 2003 das letzte Mal ausbrachen, wir aber durch Schnee und Nebel nicht sahen. Der Hauptweg, welchen auch wir mühsam und mit etlichen Pausen erklommen, teilt man sich wie gesagt mit den Geländejeeps und Schneeräumfahrzeugen. Nur einmal kam uns eine Kolonne entgegen. Ab und an stießen wir sonst nur auf weitere Wanderer, die der Spur aus schwarzem Untergrund hinauf folgten, umkehrten oder eine Rast machten. 
Der Endpunkt der Piste, den wir nach gut 2 Stunden erreichten, ist gut sichtbar. Es ist ab da an nur noch weiß! Komplett weiß! Nur vereinzelte weiße Fußspuren vergangener Abenteuerlustigen führen weiter hinauf und verlieren sich im Nebel. Kein Weg. Nichts zum orientieren. Was links und rechts vor sich geht, weiß man nicht. Wo ein Abgrund ist auch nicht. Man sieht ja nichts. Klarer Fall hier vernünftig zu sein und nicht zu einer törichten Reise ins Unbekannte aufzubrechen. Auf dem Ätna Versteck zu spielen, da gewinnt nur einer: Der Berg.
Vom Endpunkt der Piste bis hinauf zum Kraterrand braucht man nach Berichten aus dem Netz mit Guide (oder allein) gute 90 Minuten. Wobei man erstens niemals! ohne Guide von da aus weitergehen soll. Es ist sogar verboten! Und viele Schilder weisen darauf hin. Und zweitens nur bei guter Sicht und körperlicher Fitness dieses Wagnis auf sich nehmen sollte. Das heißt vor allem bei ausreichender Kondition sowie der Nichtbelastung von Herz- und Atemerkrankungen. Ungeachtet allen Tourismus'! Denn 3350m sind kein Pappenstiel! Die Luft ist dünn und ab 2500m ist jeder Schritt hinauf anstrengend, physisch fordernd. Auch würden später am Krater gesundheitsschädliche Aerosole und Fumerole dazu kommen, Augenreizungen und Jucken der Schleimhäute inklusive, was den Gipfelsturm nicht gerade das heilbringende Prädikat einbringt. 
Wir drehten zufrieden um, knipsen drei wilde Hunde, die oben auf dem warmen Weg ein Nickerchen hielten und stampften hinunter zu einer aufklarenden Bergstation. Auf halber Höhe kam uns ein aus Indien stammender Niederländer entgegen, der wie ein Brasilianer aussah, in Ungarn lebt und ein ziemlich lustiges Englisch sprach. Er teilte mit uns einen Schnack über das Ätna-End-of-the-Road-Erlebnis. Danach teilten wir sein eigens mit hochgenommenes Rum-Cola Gemisch. Echter Rum aus Kuba. Der schmeckte auf 2700m besonders gut und ließ uns hinunterfliegen. Zurück im Bus waren wir alle platt. Es herrschte eine Stille wie auf dem Berg. Später in Catania gönnten wir uns zur Feier des Tages eine Pizza und ein süffiges Birra Moretti. Das Bier der Carleones. Und der Trunk der Gipfelbesteiger wie wir fanden.







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