Ciao aus der Stadt, in der "Tante Ceccarelli [...] Amore gehabt [hat]." So besingt es zumindest die Ösi Pop-Rock-Band Wanda, die mit melancholischen und durchaus tabuisierten Songinhalten aufwartet. Den Refrain "Bologna! Amore, meine Stadt" möchte ich gern klauen und für mich und meinen Aufenthalt vereinnahmen. Knapp drei Tage bin ich jetzt hier. Nicht genau und direkt im schönen Zentrum (selten so ein vergleichbar schönes Zentrum mit Touristenschwerpunkten gesehen!), sondern etwas außerhalb. Ungefähr eine Stunde Fußmarsch entfernt, besser 1 Stunde und 6 Minuten entfernt. Das weiß ich ganz genau, weil ich sie selbst laufen musste, da der Bus zum Sonntag nur 18Uhr zum Campingplatz fährt. Wahrscheinlich wegen längerer Kaffeepause des Fahrers.. Wer mittags aus dem Bahnhof steigt und ins gleißende Sonnenlicht schaut, muss laufen. (Die Straße, der ich lange folgte, hieß übrigens "Via Stalingrado". Muss ich euch also nicht erklären wie gut es sich da lief ...)
In einer gepflegten Blockhütte hause ich sehr vergnüglich mit drei Jungspunden: Jack & Cesar aus Schweden und Hleba aus Georgien. Die zwei Stockholmer genehmigten sich jeden Abend (also die zwei Nächte, in denen ich es bezeugen kann) eine Flasche Roten und kamen unermüdlich über Literatur ins Gespräch. Beides nahm ich mit Freude auf und ich durfte mich zu ihnen gesellen. Beide sind seit 8 Tagen in Bologna (davor 4 Tage Florenz), um sich vom Unistress freizuschaufeln. Dieser türmt sich vor ihnen sehr bedrohlich auf. Cesar brachte es genauer auf den Punkt, indem er sagte, sie wollen ihrer schöpfungslosen, müden Gedankenlosigkeit entfliehen und vielleicht die ein oder andere Seite eines Essays (fürs Studium) verfassen. Zumindest ein tolles Alibi. Keiner von ihnen hat bisher irgendetwas Verwertbares für die Uni produziert. Ich hielt mich zurück das verwundert zu bemerken und groß auszuschmücken.
Jack ist ein Nihilist der klassischen Sorte und schöpft aus dem Nichts und dem Verneinen aller Dinge (außer Wein und Büchern) seine Lebenskraft. Obwohl selbst der leeren Weinflasche kann er so einiges Schlaues abgewinnen. Er liest viel und gerne, legt aber etwas zu oft für meinen Geschmack die junge Stirn in Falten. Jedes Faltengebirge würde da neidvoll in sich zusammenfallen. Jack studiert Architektur, was in meinem Kopf nicht recht zusammenpasste. Optisch sieht er wie ein junger Dandy aus. Sehr akkurat gepflegt, schicker heller Mantel und leicht klackernde Lederstiefel. Das Bad mit seinen Sachen kommt einem Vitaltempel gleich.
Cesar, der zweite schwarzhaarige(!) Schwede im Bunde, könnte mein 7 Jahre jüngeres Ich sein. Nur besser aussehend, ohne Bart und damals schon schulterlanges Haar besitzend. Er studiert im 3. Semester Philosophie. Aber nur so nebenbei und weil er nicht wusste, was sonst. Das fand ich gleich sympathisch. Er schreibt gern Gedichte, spielt Fußball und zeigt sich sehr gesprächsbereit. Gibt auch viel von sich preis und mauert nicht geheimnisvoll wie Jack, der nur durch seine Stirn spricht. Ein ungleiches Paar. So ungleich wie Sommer und Winter in schwedischen Wäldern. Abends, wenn sich der Wein den Weg durch die Nerven bahnt und nur die Dunkelheit des Zimmers zwischen ihnen steht, reden sie überraschend laut und sehr schnell in Schwedisch. Einiges verstehe ich, anderes nicht. Sie sind einfach zu schnell. Mein Kopf zu langsam. Es ist einfach toll dieser Sprache wieder nah zu sein.
Hleba, den ich bitten musste mir seinen Namen dreimal zu sagen und zu buchstabieren, da er total anders ausgesprochen wie geschrieben wird (<tsschlecha>), ist sehr ruhig und schüchtern. Er ist seit 5 Tagen hier und fängt bald an in Bologna bei einer italienischen Gastfamilie zu wohnen. Er nimmt an einem Austauschprogramm für Erasmus-Studenten teil, bei dem ein Schwerpunkt auch kulturelles Lernen darstellt, Spracherwerb und natürlich fachliche Expertise in Unihörsälen. Hleb macht gerade im 5. Semester sein Elektrotechnikstudium. Auf dem Fensterbrett hat der kräftige Georgier Sachen aus der Heimat wie ein Schrein aufgebahrt: selbstgebrannter Alkohol und andere Blindmacher als Geschenk für seine Gastfamilie. Sehr rührend. Bei zwei schwedischen Lebemännern im Anfangszustand eines IKEA-Regals und einem alten Zottelbart aus Deutschland, die genüsslich Wein trinken und dem Rebensaft huldigen, konnte Hleb also nur müde lächeln... Bei wahrem Genuss muss man selbst Hand anlegen; und er muss sich lange entfalten. 4 Tage noch, dann ist der georgische Wundertrunk fertig, meinte Hleb. Ein Lächeln huschte auf sein breites Gesicht und entblößte einige ungeordnete, weiße Zähne. Alkoholische Gärung live auf dem Fensterbrett. Chemiestudium wäre sicher sein Ding gewesen, gestand ich als Praktikant der bewusstseinserweiternden Destillate ein und schaute in die braun-graue Flüssigkeit. Schon allein vom Anschauen drehte es sich bei mir.
Alle meine drei Zimmerkompagnons könnten unterschiedlicher kaum sein, haben aber eine Gemeinsamkeit: sie schlafen lang. Als ich Ausländer halb zehn die Hütte und meine drei ausländischen Murmeltiere verließ, begrüßte mich dichter Nebel und ein aufgescheuchter Fasan. Irgendwo hinter dem Nebel und einer bevorstehenden apokalyptischen Busfahrt liegt Bologna. Wo sicher viele Italiener ihre Sonnenbrille aufhaben. Selbst im Nebel. Verrücktes Volk. Ich bin erneut bereit für Bologna. Bereit für meine Stadt! Die Sonnenbrille in der Tasche. Verrückt.
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