Dienstag, 15. November 2016

Die Geburt der Pizza: Napoli


Neapel hat mich überrascht. Man hört ja viel und kennt Stereotype, aber diese sind übertriebene Gerüchte. (Zumindest bis sie eintreten.) Das muss man sich immer wieder bewusst machen. Natürlich gibt es vom Hörensagen in Neapel Gebiete, wo man nach 23Uhr nicht unbedingt mit Geld hantieren und mit seinen Kreditkarten jonglieren sollte oder sich mit neuem Handy verirrt schauend in die dunkle Straßenecke drücken sollte. Das ist ernster Fakt. Nicht wegen der Mafia, die sich u.a. hier aufhalten soll. Denn organisiertes Verbrechen gibt es überall. (Wer im Ruhrpott oder in Duisburg wohnt, wird das kennen.) In ausgewählten Randgebieten Neapels warten bei Nacht u.a. Drogensüchtige auf den schnellen Trip per schnellem Geld und entwenden schnell einiges Bares. Aggressive Verhandlung kann da vorkommen. Doch in der Innenstadt und da, wo das Leben der Einwohner und Touristen pulsiert, bekommt man davon überhaupt nichts mit und es unterscheidet sich vom Wohlfühlfaktor überhaupt nicht von einer mir bekannten Großstadt. In der Kriminalitätsrate (Diebstahl, Überfälle, leichte Körperverletzung,.. ) ist Neapel nicht einmal unter den worst 10 Italiens. Hier ist es eher sicherer. Zumindest augenscheinlich. Viel Polizei und Patrolien. Natürlich ungewohnt alles, da man sein Schubladendenken und Ängste massiv kontrollieren muss, gerade wenn man als Frischling 22Uhr im Hauptbahnhof ankommt und durch sehr dunkle, hohe und lange Gassen läuft. Hinter jedem Mann mit Lederjacke und dunklem Blick wird ein Mafioso vermutet, der für seinen drogensüchtigen Sohn mit gezücktem Springmesser den Stoff besorgt. Alles hochdosierte Generalisierung. Ich merke gerade,dass ich damit bei euch keine Stereotype abbaue. Hier ist es echt sehenswert. Es hat mich teilweise an Lissabon erinnert. Viele Hinterhöfe und Straßenzüge weisen dieses Muster auf. Wenn man aufpasst und nötiges Maß an Vorsicht walten lässt -wie überall- ein tolles Erlebnis. Auch ich habe teilweise die 'Krisen'-Gebiete aufgesucht und muss bekennen, dass sie zu den schönsten Abschnitten der Stadt zählen und ich dort das urtümliche neapolitanische Leben vermutet und gefunden habe.
Manchmal stehen auch Autos ohne Seitenfenster, Waschmaschinen und anderes Haushaltsgerät auf dem Gehweg. Abseits der Hauptstraßen. 
Man sollte aber Neapel auch unbedingt länger besuchen; auf den Hauptstraßen und dem Umland mit dem Supervulkangebiet. Mindestens 9 Tage überschlug mein gönnerhafter Gastgeber Giovanni und zählte an den faltigen Fingern. Jeder Finger ein gut durchgeplanter Highlighttag. Den Vesuv hat er sogar weggelassen, da man oben am Krater oft nichts sehen soll. (Ich wollte es dennoch in den 3 Tagen machen, aber das Wetter war zu schlecht -ein andermal eben.) Er weiß sehr viel über Neapel und Umgebung und kennt die Interessen der Backpackergemeinde wie aus dem Effeff. So schnell macht dem 67-Jährigen keiner was vor. Man fühlt sich selbst wie ein Schulkind, dem die Welt erklärt wird. Er sieht aus wie Morpheus aus der Matrix, nur ohne Ledermantel und mit weißer Hautfarbe. 
Ich fühlte mich wie Neo, der eine blaue und eine rote Pille angeboten bekommt. Ich entschied mich für die Wahrheit und einen sehr fundierten Geschichtsvortrag und allerlei Ratschläge zu sehenswerten und weniger nennenswerten Punkten Napolis. Diese werden mit abgegriffenen Buchseiten, Google-Earth-Bildern und Produkten der Suchmaschinen untermalt. Er ist vorbereitet und stimmt das Angebot auf die Vorlieben seiner Besucher ab. Was für Interessen hast du? Magst du Pizza? Wie findest du Thermen unterhalb der Stadt? Konzertgänger? DER Guide ist dieser Mann. Ist alles inklusive. Ist ja Giovanni's Home und Giovanni ist der Gastgeber. Wahnsinn, wenn er das bei jedem macht! Es ist seine Bude, in die er 16 Betten gestellt hat und Leute aus verschiedenen Erdkreisen beherbergt. Nach einem ersten skeptischen Annähern meinerseits teilte er nicht nur seinen 17 Jahre gereiften Rat als Herbergsvater und Hostelherdenführer, sondern auch seine selbstgemachte Pizza mit mir. (Später sollten weitere Gratis-Essen und italienischen Süßspeisen folgen.) Von da an waren die ersten Bedenken meinerseits zerstreut. Einfach ein völlig anderes Hostel. Total anders. Sehr viele Leute auf begrenzt Platz auf uralten Fundamenten. Wie in Neapel so üblich. Diese Stadt ist wesentlich älter als Rom. Auch größer. Und kann ihr auch gut Paroli bieten. Es besitzt den Piazza Plebiscito, der größer als der Petersplatz ist, seine Kathedrale erinnert an das Pantheon, nur ohne Loch. Es gibt ein innerstädtisches Schloss, einen großen Dom und erneut ein Schloss am Hafen. Dazu die älteste erhaltene und noch intakte Straße der Welt! Mitten durchs Getümmel der von Läden gesäumten Innenstadt. Darüber hinaus viele Zugänge zum alten Stadt- und Thermensystem unter der Oberfläche. Mit Kerzen bewaffnet geht es durchs Tunnelsystem und enge Gänge, die dem Vulkangestein abgetrotzt wurden. Natürlich gibt es noch das Nationalmuseum, in das fast ganz Pompeii hineintransportiert wurden ist.
Oberirdisch schauen Männer Frauen hinterher und anders herum. Nur nicht zur gleichen Zeit, sonst würde man sich unter Umständen vielleicht noch ernsthaft kennenlernen müssen. Väter knipsen Selfies mit ihren Kindern, die das wie wahnsinnig einfordern und sich freuen. Rudel Kinder spielen auf öffentlichen Plätzen Fußball wie Pirlo und schroten das Leder munter gegen Kirchenwände. Von denen gibt es schließlich reichlich.
Priester nehmen mit getönter Sonnenbrille die Beichte ab. Kinder fahren ohne Helm und vor allem ohne Führerschein Roller wie Tollwütige. Licht bei Nacht ist natürlich undenkbar, gänzlich out! 
Bei Regen regieren vereinzelte Schirme die Seitenstraße. Es glänzt das dunkle Pflaster schwarz in den trüben Tag hinein. Der zum Stadtbild gehörende massive Müll scheint grell, unnatürlich Weiß auf der rutschigen Oberfläche. Tauben picken Reste von der nassen Straße und suchen im verstreuten Abfall nach Essbaren. Es wird sich auf ein Stück Pizza gestürzt. Schade so etwas wegzuwerfen. Die Taube weiß, was hier wirklich gut schmeckt. Aber Müll ist halt Ansichtssache. Diese Stadt überrascht. Nicht immer positiv. Manche Vorurteile Stimmen eben doch. 
Fest steht: Neapel ist jeden Tag anders. Ganz besonders ohne Vorurteile. Das ist die große Chance. Nicht nur um dieser Stadt zu begegnen. 










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