Mittwoch, 12. April 2017

Der fette Brieftaschenblues


Pünktlich zum bevorstehenden oder vergebens erhofften Ferienstart und der Illusion als aktiver Dienstleister des Lebens und Broterwerber weit und unbeschwert verreisen zu können, wartet heute ein thematisch kompatibler Post auf euch. An alle, die zu Hause bleiben müssen, weil sonst der Laden nicht läuft; das Schaf ungeschoren davon kommt; kleine Brötchen gebacken werden müssen; der Acker ungepflügt bleibt. Muss ja! Isso! Nützt ja nichts! Achtgegeben: Die Reise dauert nur 10 Minuten! Es geht natürlich ums Reisen. Und all das, was dabei wichtig ist oder wird. Ich nutze (und du hoffentlich auch) die Verschnaufpause, um meine schon längst verkommenen Wander-Waden zu kneten, die wie Streichhölzer aus den kurzen, ausgeblichenen Badeshorts ragen und den Weg für weitere Ziele zu ebnen. Gedanklich. Nur geistig. Ohne Planierraupe.
Los gehts mit freshem Dope fürs Hirn:

Reisende reistragende Reisende reißen Reis aus Reishänden reistragender reisender Reisender.

Nein, also das war ein schlechter und einsichtigerweise sinnloser Zungenbrecher. Tja dachte ich probiere es mal. Also gut, sorry. Jetzt gehts los. Wirklich! Aber ihr wisst nun worum es geht und seid auf der Hut.
Das Gute ist: beim Reisen hat man als Voyager nichts zu verlieren, abgesehen von der (mit fetten Scheinen gefüllten! haha) Brieftasche und der archetypischen Angst des Homo sapiens vor dem Ungewissen (hoffentlich mag mein Portemonnaie immer prall gefüllt sein, Amen!). Nein, es kommt wie bei vielen Dingen der Lebenskunst, so auch bei der inneren Reiseleitung, auf den Blickwinkel an. Eine Reise kann gut sein oder nicht, oft weiß man das erst hinterher. Andere sagen: Reisen ist wie Sex, lieber widerlich als wieder nich. Klingt doch wie immer, sagst du jetzt. Ist doch nichts Schlimmes dabei. Eben! Gar nicht schlimm.
Sollten also beim nächsten Urlaub Kakerlaken im Bad der hotelähnlichen Unterkunft hausen, einfach den Blickwinkel ändern: Gib der Sache mehr Erotik! Tanze die Schabe im feurigen Tango an. Anschließend mal mit Sexappeal das bunte Cocktailschirmchen vom geexten Mai Tai schnappen, das rassische Weichschalen-Getier aufspießen und lecker Proteine genießen. Da hat man kulinarisches Thailand und lebendiges China gleich raffiniert miteinander kombiniert. Doppelter Reisespaß sozusagen. Und das zum Schnäppchenpreis! Oder einfach mal bei der nächsten Haifütterung im australischen Salzwasser nicht reserviert und teilnahmslos vom Boot ins Blaue starren, sondern der Gefahr von Angesicht zu Angesicht ins Antlitz blicken. Einfach mit Bierbauch voran oder gekonntem Kopfsprung ins wilde Becken springen. Urlaub heißt schließlich auch me(e)hr fühlen, weniger nachdenken. Das ist dann wirkliches HAI-Definition-TV vom Feinsten..
Oder wieder andere frönen beim Reisen der Supermarktideologie: Einmal hin, alles drin. Denn nur real,- ist legal! Oder 'jeden Tag ein bisschen besser.' Wie findet ihr das? Da muss man zwar einerseits ziemlich lange im Urlaub sein, um ihn nicht nur gut zu finden, aber über mangelnde oder unzureichende Abwechslung kann man sich nicht beschweren. Da spielts auch keine Rolle, wenn die berstende Brieftasche vom vertrauenswürdigen Gorilla mit gefälschter Armani-Uhr, glänzendem Halskettchen und Gucci-Sonnenbrille geklaut wird. Das war ja eh all-inclusive! Stand ja so im Prospekt: Wer A sagt, muss auch Geldraub sagen! Vielleicht streikt ja auch noch die Flughafenairline. Das wäre doch klasse! Mensch, 11 Stunden das Flughafenterminal durchstöbern. In aller Seelenruhe. Einmal im Leben ein vollwertiges Mitglied der Völkerwanderung sein. Da kann man in der Warteschlange zum Klo gleich -vis a vis zum Duty-Free-Shop- sein verpasstes Praktikum im Einzelhandel nachholen. Das nennt man Traineeship-to-go. In 5 Jahren gibts das dann auch beim Bäcker im Pappbecher für 3,95€. Da ist man dann schon Guru, der Vorreiter und gibt dünnschlürfige und völlig überteuerte Seminare. Solche Art des Reisens ist wie eine Hochspannungsleitung: Ganz lang, ständig unter Strom und es wird nie langweilig, wenn man beherzt zupackt. Nein! Also das kann natürlich auch nach hinten losgehen. Kinder! Tut das nicht! Bitte, nicht! Denn da landet man glimpflichstenfalls in der Intensivstation oder tritt eine sehr sehr lange Reise an. Vielleicht ohne Wiederkehr. Ihr löst ein 'One-way-ticket' würden Eruption jetzt sagen. Und keiner der Blues-Singer oder Lebenden kann sagen, wo es da genau hingeht. Dann kommt man beispielsweise in Berlin-Neukölln oder in der Dortmunder Nordstadt an, wo Leute einfach mal ihre klobige Einrichtung aus dem 9.Stock werfen und man als Begrüßung und gute Nachbarschafts-Geste ein blank poliertes Klappmesser in die braungebrannten Rippen kriegt. Das ist dann der heißgeliebte Kreativurlaub, bei dem man sich z.B. die alten Grabanlagen der Ägypter anschaut - von unten! Einfach mal tief Luft holen, in sich gehen und das Leben spüren, bekommt dann einen reinigenden Effekt. Oder man wird karmatisch (und nicht ganz so charismatisch) als Kakerlake im Hotel wiedergeboren. Wie das endet, wisst ihr ja... aber Hauptsache Proteine!
Aber hören wir ernsthaft auf mit der frotzelnden Spöttelei, so können wir Folgendes festhalten: Urlaub ist wichtig. Jeder braucht ihn. Was, wohin und wie lange man reist, ist egal. Urlaubsfeeling, das der Erdung der eigenen Person zuträglich ist, stellt sich aber bei 70% aller Reiselustigen erst nach einer Woche (5+Tage) ein. Das ist empirisch von Reiseanbietern erwiesenermaßen völlig unabhängig überprüft wurden. Kürze ist also nicht unbedingt die Würze. Da kann man oft nicht im Kopf abschalten und fühlt sich wie ein nach drei Tagen verschrumpelter Luftballon: leer, ausgetrocknet und ohne Puste.
Nach welcher Philosophie man reist, ist jedem selbst überlassen. Doch meist reist man so wie andere gern reisen oder wie man möchte das andere sehen, dass man reist oder so wie andere meinen, dass es zu einem gut passt so und so zu reisen. Das hat wenig mit Ich-reise-wie-ich-es-will zu tun. Dabei kommt man völlig verkrampft und unentspannt zurück und braucht Urlaub. Andere sagen sie brauchen wieder Alltag und freuen sich auf die Arbeit. (Hier klatscht es gleich keinen Beifall!) Sie durchziehen ihren Urlaub mit ihrem Klotz Arbeit, den sie loswerden wollten, was es aber schwer macht wirklich zu urlauben, da er ständig störend am Bein hängt. Da habe ich auch das Gefühl, dass diese Form des Urlaubs ein ziemlich oberflächlicher Urlaub war und zum Kern der Reise nicht vorgedrungen wurde. Letztlich hat da irgendetwas gefehlt. Meistens sind diese Urlaubsarbeitstiere (Vorsicht: rare Spezies!) die ersten, die nach 3 Tagen burnout-gefährdet wieder hecheln, dass sie Urlaub benötigen. Na klar, weil sie keinen wirklichen Urlaub, der für sie richtig, wichtig und unbedingt notwendig ist, gemacht haben! Und die Zeit bis zu den nächsten Ferien, in denen man wie die Ölgötzen am übervollen Strand brutzeln kann, ist länger hin als man vermutet. Wenn es dann zufällig klappt, ist leider auch schon wieder die Sonne aus und die klapprigen Strandliegen auch. 
Das heißt wichtig ist sich klar zu machen, was man vom Urlaub selbst erwartet/nicht erwartet und was man möchte/ nicht möchte. Das ist schon schwer genug, gerade da viele Begriffswolken und Ratgeber zum Reisen kursieren, auf die man sich schnell stürzt, die aber die eigene Auseinandersetzung mit eigenen Vorlieben und Wünschen nicht ersetzen, das eigene Gespräch mit sich selbst - dem reisenden Ich- nicht kompensieren können. Aber genau das ist der Kern der Reise: entweder das zu suchen, was man irgendwann mal auf einer Reise gefunden hat und zu wiederholen trachtet oder zu reisen, um das zu finden, was man gar nicht wusste, dass man es sucht. (Und und und...Ich glaube der Mix machts!)
Oft versaut man sich auch so richtig großartig den Urlaub, indem man den Partner mitnimmt. Zuhause sieht man ihn -wenn es hoch kommt- 3 Stunden am Stück. Plötzlich -im Urlaub- sieht man ihn nur noch. 24 schweißtreibende Stunden am Tag! Also gefühlt. Nein, so meinte ich das jetzt nicht. Denn aus dem Alter des Fühlens (=bei Adoleszenten die Zeit des Komasaufens) hat man sich heute glücklicherweise herausgewöhnt.
Heute fühlt man nicht mehr. Manchmal fühlt man auch nichts mehr. Das weiß man. Heute muss man derb den survival spirit der Reise abgreifen und hat ein hammer Urlaubsfeeling zu erleben. Das wird gefordert! Was anderes feel den wohl nicht ein? Leute, ich will meinen Urlaub nicht nur erleben (das ist für mich eine Voraussetzung!), sondern ich möche mich im Urlaub wie daheim, d.h. wieder mehr wie ich selbst fühlen können und aufgehoben fühlen. Das ganze gefühlte Fühlen auch mal mit anderen, sodass man ganz legal zur klassischen Weinverkostung auch den Partner mitnehmen (und liebhaben) kann. Beim richtigen Wein klappts dann nicht nur mit dem Nachbarn, sondern auch mit dem Partner. Auch im Urlaub. Im Allgemeinen vertrete ich die These, dass man seinen Partner in Spe auf jeden Fall in den Urlaub mitnehmen sollte (Hervorhebung des Autors). Denn dort lernt man ihn mal wirklich von Grund auf kennen und sieht, ob man zusammen für den Rest des Lebens ein Bett und diverse Träume teilen möchte. (Verträumtes Rülpsen und Furzen lockern im Bett nur bedingt die Stimmung auf.) Doch jeder weiß, nicht immer ist es traumhaft mit anderen Leuten im Urlaub, gerade wenn man mit ihnen nicht das Bett teilt, sondern sich um das geile Bufett kloppt. Vielmehr zerstört man sich oft und gern den eigenen Urlaub durch andere Mitmenschen, die einen an Gesinnung und Verhaltensweisen diametral entgegengesetzt scheinen oder sind. Doch warum? Warum Aufregen, wenn man eigentlich nichts will außer Urlaub? Denn wenn er dann da ist, ist er oft augenblicklich ziemlich weit weg. 
Diesen leicht erhitzten Menschengemütern möchte ich Folgendes um die Ohren ventilieren: Im Umgang mit störenden Miturlaubern sollte man die Gelassenheit eines Stuhles besitzen: Der muss ja auch mit jedem Arsch klarkommen... Und beschweren kann der sich auch nicht. Überhaupt geht es im Urlaub erstaunlich oft nur ums Klarkommen (gleich nach dem Beschweren), denn sonst (im normalen Real-Life, dem Tough Mudder der Arbeit) hat man dafür gar keine Zeit daran zu denken. Da muss man funktionieren, machen, rödeln, dienen, ackern! Wie man mit all dem Handwerk klarkommen soll, wird nicht extra ausgeführt. Da gibt es kein teaminternes Briefing, geschweige dass dazu irgendwelche stichhaltigen Überlegungen verschwendet werden: Der Guerillakrieg um den Kopierer ist das was zählt, nicht ob und wie ich meine Flipflops akkurat im Sandstrand auslege. Kurzum: Heiße Luft gibt es überall, ganz besonders im Südland-Urlaub, da muss man sich nicht den Kopf an heißblütigen Vollpfosten stoßen, die einem blöd kommen oder noch selbst den Fehler machen und denken wie blöd oder anders gepolt andere sind. Wir fönen die schlechte Laune einfach weg. Mit der guten Laune, die ein Urlauber auf seiner Reise haben sollte. Lieber einmal zu viel als überhaupt nicht.
Eine Reise frönt dem Dazwischen. Hach wie sich das anhört! Wie die Sahnefüllung des von mir gerade verputzten Schokoeclair, verbindet es luftig und süß die beiden Hälften des Alltags: normierte Regelhaftigkeit und kreative, kreative..ähm krea.. Mjomjomjom eine leckere Süßspeise so eine Reise doch ist!
Man sieht etwas mit sich passieren, etwas vorangehen, etwas arbeiten, man spürt ein inneres Aufbegehren. (Nicht das anmutige concerto grosso der Darmflora ist hier gemeint.) Du wirst zum Du deines Du (Dudu), zum Ich im Ich (Ichich), best oder worst mate mit dir selbst (dein eigener Doktor Jekill und Mr. Hyde), falls du schon ein Selbst bist. Dann hast du immer Gesellschaft und fühlst dich nie einsam, toll! Denn die eigene Einsamkeit zu genießen und sich nicht einsam zu fühlen, auch das ist Reisen. Wenn nicht und du kein Selbst bist, dann ist das nicht schlimm, aber du verpasst was (wie den kondensiert emotionalen Film-Abspann im Kino oder das legendäre Sesselritzenpopkorn als studentischer Pleitegeier).
Kein Selbst? Dann hast du dazu alle Reisezeit der Welt es zu erwerben, neu zu ergründen, dich selbst altbewährt neu zu erfinden, zu überraschen. Der üppig blühende, aber bescheiden anmutende Philosophiegarten spricht hier von Wahl. Man wählt aktiv, prozesshaft sein eigenes groß- oder nicht so großartiges Selbst (Shakehands mit Mr. Nobody) und kann dann gucken wie man existieren möchte (dezenter Verweis zu Großmeister Kierkegaard).
Wählen kennt man medienwirksam auch aus dem Land- oder Bundestag. Es ist alles irgendwie gut, Hauptsache man wählt nicht Braun, denn das ist immer Scheiße. (Wir nennen das Kind hier beim Familiennamen). Ich weiß, was der ein oder andere jetzt mit tränengefüllten Kindheitsäuglein stockend erwidert: „Aber..aber..aber...Braun ist doch eine liebliche Eigenschaft des herzzerreißend putzigen Kindheitsritters von jedermann, meines knuffigen Teddys Horst-Gerhard (*tazitazitu*streichel*schluchz*)." Jo. Dieser und sein realer 3m großer, tierischer Vertreter sind in der Tat kuschlig und flauschig, aber auch gefährlich, denn so ein haariges Kleinteil des Grizzly kann man durchaus und ausversehen mal verschlucken! Macht sich auf kurze oder lange Brotzeit nicht gut. Nein ernsthaft! Ich bleibe an dieser Stelle in der bärischen Farb-Allergie ha..ha..haaatschi.. Farballegorie, Entschuldigung! (Zu viel sündhaft kalorienreicher Puderzucker auf meinem Eclair. #essengehörtzumurlaubwiebutterunterdienutella)
Denn, wenn du Braun wählst -unabhängig wie überzeugt du nebenbei von bärischen Qualitäten oder du dich selbst mit diesen ausgestattet wähnst, bist du keineswegs das coole, neue, innovative Inventar in der politischen Bettstatt des Lebens. „Braun brauchste nich, mach lübber Bunt, da haste mehr vonne. Is jeckisch und sieht jeiler aus!″, sagt der Kölner Jung.  Recht hat er. Bin deshalb auch dafür dieses verfassungswidrige Braun aus dem Malkasten zu radieren. Ab jetzt gibts nur noch einfarbig bunte Malkästen für Schüler. Könnte man auch einen gedankenschwangeren, ernst dreinblickenden Balu in Regenbogenfarben und I-want-you-Pose daraufkleben (Glücksbärchialarm2.0) mit der Sprechblase: „Zack, so isses! Vorbei mit Wünsch-dir-was!" Das Leben ist hart, genau wie das Pflaster unter müden Füßen eines Großstadtabenteurers. Wir waren ja eigentlich beim Reisen. Verzeiht, ich gleitete ab, also glitt ab.
Reisen muss man spüren. (Auf welcher Art auch immer, überlasse ich der Fantasie des großartigen Lesers dieses Beitrags.) Es gibt einen Ist-Zustand, an deren Stelle während oder nach der Odyssee ein neuer Ist-Zustand tritt, der einem oft besser passt wie ein neuer Anzug, der nach dem nicht ganz so akribisch angegangenen Sport-und Ernährungsplan deines Personaltrainers um die Region der Bauchdecke eine Neuerung erfahren hat. 
Nach dem Reisen erkennt (oder verkennt) man sich in der Retrospektive als neuen oder alten Menschen und man erfreut sich in der Genugtuung des Augenblicks, der Apotheose seiner Selbstigkeit wie ein Schnitzel. Man, man, man, man Mann!!!!! Immer diese generischen, entpersonalisierten Bezeichnungen, dieser zurückhaltende Ausdruck von abgehobener Distanz, dieses aalglatte Aufgehenmöchten in der Allgemeinheit, dieser selbstauferlegte Nichtangriffspakt mit dem gesellschaftlichen Status-quo des Moralisch-Möglichen. Hey MAN, sag doch mal ich, Ich, ICH!!! Okay man.. (hier künstlerisch wirkungsvolle Pause machen).
ICH sag jetzt was Reisen für mich an diesem Tag im Traumzauberland der Reiselust ausmacht. Jetzt live und gleich, ohne dass ihr was bezahlen müsst (dezenter Verweis auf meine fette Brieftasche wäre hier sehr unprofessionell und geschmacklos). Reisen bedeutet für mich gerade in Zeiten menschlicher Irrungen und Wirrungen (Goethe), Grobschlächtigkeit, Ungerechtigkeit, drückender Leistungsgesellschaft, Homeoffice-Mentalitat und ersehnter Bürostuhl-Eremitage: 
Freiheit statt Freizeit. (Danke, Frank Berzbach)
Verhält sich wie mit der Arbeit und könnte von dir leichthin als Credo für den Job geltend gemacht werden. Denk doch mal darüber nach! Na dann viele Grüße aus dem dütschen Ausland oder wie die Bänkelsänger der Stoiber Buam flöten: „Doas letzte Hemd hod oa koane Toschna" (Das ist der fette Brieftaschenblues). 
Summend beginne ich einfach mein bisschen Urlaub und begebe mich auf die Reise nach einem Hochdeutsch sprechenden Geldautomaten. Denn Urlaub beginnt zwar im Kopf, endet aber vorschnell mit dem Limit der eigenen Kreditkarte. Dazwischen passt die einzige Freiheit, die man kennt: Träumen. Ein Glück dass Geld nicht alles ist, möchtest du sagen. Das stimmt! Aber nur, wenn man über Mastercard oder Visa verfügt. Sage ich. Geld ist immer ein Spielverderber für Reiseträume. Aber sei doch lieber selbst kein Miesmacher! Reiseträume fangen bekanntlich nicht auf dem Konto an, sondern im Kopf. (Der ist übrigens so rund, damit Gedanken auf die Reise gehen und bequem ihre Richtung ändern können.) Mit deinem Dickschädel findest du sicher eine Möglichkeit deine geliebte Freiheit zu verwirklichen. Achso und ganz nebenbei auch einen Weg dein Konto aufzuhübschen. Für deinen Urlaub und so. Geil, was? Welch überraschend optimistisches Ende, nicht? Ich könnte jetzt inbrünstig zustimmen, wenn nicht der Bankautomat meine Kreditkarte einbehalten hätte. 
Kontosperrung ist und bleibt eben ein Arschloch.

Mittwoch, 5. April 2017

Weiche Eier und harte Nüsse


Harold. Er ist der Vater meiner Freundin. Wir kennen uns seit knapp einem Jahr. Genau 6 Wochen weniger als ich sie kenne, kenne ich ihn. Immer wenn wir bei ihren Eltern sind, sehe ich Harold und wir diskutieren politische Themen aus. Warum weiß ich nicht. Ich sei der Einzige mit dem es einen Sinn macht, sagt er. Wahrscheinlich meint er Spaß. Der Einzige mit dem es richtig Spaß macht. Wahrscheinlich weil ich so blöd bin und ihn ernst nehme. Mit seiner Frau und seiner Tochter -was meine Freundin ist- kann er es nicht. Sie verlieren zu schnell das Interesse daran, sagt er. Sie seien nicht gewitzt und gerissen genug für Politik-Talk. Ich bezweifle das. Weiterhin bezweifle ich dass dies ernsthaft ein Lob in meine Richtung sein könnte. Er lässt sie nicht zu Wort kommen und wälzt faktenlose Floskeln, sagen sie. Das bezweifle ich nicht. Und er ist ein selbstverliebter Choleriker, sagt meine liebe Schwiegermutter. Das bezweifle ich auch nicht! Da kann man schon mal schnell das Interesse verlieren, stimme ich ihr im Geheimen zu. Egal um was es geht! Auch ich genieße nicht unbedingt diese Unterhaltungen mit ihm, die oft einseitig verlaufen. David gegen Goliath wäre eine Untertreibung. Übertrieben ist nicht zu sagen, dass sie mich völlig zerstören. Harold ist ein cholerischer Populist und einer der scharf Stereotype bedient. Egal wie unwahr sie sind. Knallhart und überzeugt blauäugig. Aber ich bin eben der Freund seiner Tochter. Da macht man solche Dinge. Und lässt sich gegen die Wand spielen. Irgendwann in der fortschreitenden Diskussion bekommt man dann Anschuldigungen an den Kopf geworfen. Von Harold. Anfeindungen und derbste Beschuldigungen, wobei man keine Zeit bekommt angemessen dazu Stellung zu beziehen oder diese souverän zu entkräften. Das was ich eigentlich gut kann. Aber es geht nicht, denn die nächste Anschuldigung kommt. Von Harold. Alles im  Dauerfeuer. Es prasselt auf einen nieder. Den ganzen Abend. Man erduldet es. Ganz stoisch interessiert.
Politik ist eigentlich nicht mein Steckenpferd. In der Freizeit versuche ich nur -was das politische Geschehen angeht- auf dem Laufenden zu bleiben. Up to date sozusagen. Mehr nicht. Ich lese auf diversen Apps superreicher Verleger die Tagespolitik. So richtig etwas zu Politik steht da eigentlich wenig. Nur unnützer Tand, Klamauk und nichts wirklich Wissenswertes. Alles nur Affenzirkus. Affektiert und aufgeplustert. Davon geb ich mir meistens nur den Klappentext. Oder die Zusammenfassung des Artikels. Sehr selten ganze Artikel. Denn ganze Artikel -besonders die über echte Politik- sind anstrengend. Wirklich gute Artikel gibt es auch eher selten. Gute Politik ist wahrscheinlich zu anstrengend. Genauso sind die Gespräche mit Harold. Ich gebe zu, dass sie ab einem gewissen Punkt eine gewisse Dynamik aufweisen und sich nach Wortgefechten voller Eifer Befriedigung einstellt. Oder so etwas Vergleichbares. Vielleicht ist es Erleichterung. Doch eigentlich kommt diese erst, wenn ich mit meiner Freundin sicher im Auto sitze und auf der Rückfahrt bin. Da -ausgezehrt auf dem Beifahrersitz- brummt mir immer noch etwas der Schädel. Er brummt mir sehr. Von Harolds durchdringender, sich überschlagender Stimme. Vielleicht auch von dem halbvollen Glas Whisky, das er mir ständig bei unserem Besuch anbietet und das ich immer folgsam austrinke, nachdem er mich im Zehnminutentakt dazu nötigt. Manchmal schenkt er nach. Dann muss ich es auch austrinken. Eigentlich trinke ich lieber Wein. Das befördert mein Denken. Wirklich. Aber Wein geht bei ihm nicht durch. Das ist was für Weicheier. Wein trinkt nur einer, der keine Eier in der Hose hat. Ab diesem Moment wird mir immer bewusst, dass Harold sein Frühstücks-Ei hart mag. Ganz sicher bin ich mir da. Was auch sonst. Dass ich nach dem ganzen halbvollen Glas Whisky nicht mit dem Auto seiner Tochter zurückfahre, versteht er nicht. Er fährt, nachdem er mit seinen Kumpels getrunken hat, immer noch Auto. Vom Fußball nach Hause oder in die Dorfkneipe. Egal wohin und wie tief er ins Glas geschaut hat. Er fährt. Er ist eben ein Mann. Ein Mann mit Eiern in der Hose. EIER! Kein schwules WEICHEI! Als ich die grobe Fahrlässigkeit seiner Handlung und üble Nachrede argumentativ verurteilen möchte, blockt er lautstark ab. Ich versuche zu erwidern wie gefährlich Fahren unter Alkoholeinfluss sein kann und gebe mir Mühe die Verantwortungslosigkeit gegenüber seiner Tochter ins Spiel zu werfen. Ich stammle dass.. Doch er schreit mich ungehalten an, mit hervorgetretenen Augen und spuckt Speichel auf mein neues Hemd. Das Hemd, das meine Freundin erst gewaschen und gebügelt hat. Mein Engel. Harold sieht diesen reinen Akt der Liebe nicht und spuckt darauf. Ich solle seine Tochter da raus lassen. Freundchen, schreit er und schüttelt mich nebenbei grob, es geht ums Prinzip! Mann gegen Mann! Eier hat man eben oder man hat sie nicht! Da gibt's nichts dazwischen! Manchmal rüffelt er dazu mein Haar und gibt mir kumpelhaft einen Stoß gegen die Schulter. Den merke ich immer noch mehrere Tage später. Die Stelle wird meist ganz blau. Als es passiert, grinse ich vor Schmerz. Wie jedes Mal, wenn es passiert. Ich grinse aus schierem Schmerz. Und Erleichterung. Denn ich weiß, dass es dem Ende zu geht. Dass wir bald nach Hause fahren.
Das Ende vom Lied und meines gekränkten Stolzes folgt. Er lacht über mich, nennt mich ein Weichei und bricht mir beim Abschied fast die Hand als wir uns diese gegenseitig schütteln. Ganz männlich.
Meine Freundin fährt uns dann beide Heim. Meine Freundin fährt mich Heim.
Ich atme durch und zähle gedanklich die Tage bis zum nächsten Elterngespräch. Bis zum nächsten Politik-Talk mit Harold. Meinem Schwiegervater. Der mit den vielen harten Eiern in der Hose. Wie ich in das Auto geturkelt bin und den Sicherheitsgurt festgemacht habe, weiß ich nicht. Es war bestimmt meine Freundin. Mein Engel. Mir wird schlecht dabei als ich angestrengt überlege, warum ich schon wieder blau bin, aber ich mich nicht erinnern kann. Whisky hatte ich deutlich zu viel. Immer, wenn ich bei den Eltern meiner Freundin war. Wenn ich bei Harold war.
Es sind viele Kurven von dem Haus ihrer Eltern bis zur Autobahn. Ich glaube deshalb wird mir immer schlecht. Von den Kurven. Ich denke freudig an die Kurven meiner Freundin und weiß warum ich diese Besuche mache. Und erdulde. Diesen Politik-Talk mit Harold. Ich mache ihn für sie. Meine Freundin. Und ihre Kurven. Ich kann nicht fahren. „Nach dem Glas Whisky kann ich einfach nicht fahren! Harold könnte das auch nicht!″ Ihr Vater kann das auch nicht. Niemals! Mir wird das voll bewusst als ich das meiner fahrenden Freundin erkläre. Gestikulierend auf dem Beifahrersitz. Sie weiß das, sagt sie und streichelt meinen Kopf. Sie zerzaust mein Haar nur. Ganz sanft. Spielerisch. Mit der Spitze der Finger ihrer rechten Hand. Nicht wie Harold, der mein Haar wild rüffelt und halb an meiner Kopfhaut reißt. Ich greife mir an meine gerade wieder schmerzende Schulter. Irgendwo muss ein blauer Fleck sein. Phantomschmerzen. Ganz real. Gibt's so etwas? Bis zur Hochzeit ist es wohl weg, tröste ich mich unsicher. Schmerzerfüllt reibe ich meine Schulter. Ich schaue wie ein geprügelter Hund zu meiner Freundin. Meinem Engel.
Sie fragt mich warum ich immer mit ihrem Vater trinke. „Mit wem?″ Ihrem Vater. Harold! „Achso mit Harold! Na, weil ich muss", sage ich. Muss!
Ich muss ihn auch immer Harold nennen. Gleich nach dem ersten Besuch wurde das so besiegelt. Diese neue Form der familiären Verbundenheit. Die Verbundenheit mit ihrem irren Vater! Ich hatte da nicht viel Mitspracherecht. Ich wollte das nicht. Aber der Mann mit den Eiern entschied das. Es wurde gleich auf Männerart besiegelt mit einem Glas Whisky. Von diesem ersten Abend wusste ich folglich nicht mehr viel. An die 2 Tage Kopfschmerzen danach erinnere ich mich aber ganz gut. Auch weil sich das aller 5-6 Wochen wiederholt. Diese Kopfschmerzen.
„Du musst das nicht. Das sage ich dir doch immer wieder! Du musst nichts mit ihm trinken, wirklich nicht! Mein Papa ist eben etwas speziell."
Wenn sie wüsste. Verrückt und psychopatisch trifft es eher. Ein Säufer. Ich mache es für sie. 
„Ich mache es für dich", rufe ich meiner Freundin neben mir zu. Für dich.
„Du Spinner", sagt sie lachend. Sie blickt mit ihrem hübschen Gesicht konzentriert auf die unter dem Auto hinweg rollende Straße. „Du bist doch selbst Schuld, wenn du dich darauf einlässt. Wie alt bist du, hm?" Mein Engel. Mein süßer Engel. Recht hat sie.
Sie nimmt die Kurven eng, aber sicher. „Du hast tolle Kurven", lalle ich in ihre Richtung. Das war der Whisky. Sie lacht wissend. „Versuch etwas zu schlafen", haucht sie liebevoll. Es dauert noch etwas bis wir zu Hause seien und wir im Bett lägen.
Ich sage ihr, dass ich morgen Sex zum Frühstück haben möchte. Mit aller Konzentration, die ich noch aufbringen kann, schaue ich sie an. Ich setze meinen Hundeaugen-Blick auf. Der, den sie viel besser kann als ich. Unbedingt Sex zum Frühstück!
„Hart oder weich?", fragt sie schmunzelnd ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Ich muss an Harold denken. Meinen Schwiegervater. Hart oder weich? Gott! Jetzt hat Harold sich auch schon in mein Liebesleben eingeschlichen! Ganz hart eingeschlichen.
Beim nächsten Mal zeige ich es ihm. Ich zeige ihm, dass ich kein Weichei bin. Hart" gebe ich meiner Freundin müde zurück. Ich kämpfe noch etwas mit meiner Müdigkeit. Beim nächsten Mal also Mann gegen Mann. Eier gegen Eier. „Richtig hart bitte", füge ich hinzu und schlafe ein. Tief und traumlos. Mein Kopf fällt auf die Schulter und schaukelt etwas als wir durch schnelle Kurven fahren. Ein Schutzengel nimmt sie eng, aber sicher. Ein Schutzengel, der die hübsche Tochter von Harold ist.